03. Januar 2025   Aktuell

Anwachsende supra-nationale Autorität in der EU

Nationalismus im Mäntelchen der Rechtsstaatlichkeit? Frage: Schränkt der aufkommende Nationalismus in der EU die individuellen Rechte anderer Staaten zugunsten „volksgemeinschaftlicher“ Konstrukte ein?


Anwachsende supra-nationale Autorität in der EU

Beitrag von , tkp-at

Mit 2025 wird der Krieg der EU gegen nationale Souveränität verschärft. Erster Gegner ist dabei Ungarn, dessen Beziehung zu Brüssel sich mit 1.1. wesentlich verändert hat. 

Ungarns EU-Ratspräsidentschaft ist vorbei und mit dem Jahreswechsel verschärft Brüssel seinen hybriden Krieg gegen Budapest. Die abweichende Orban-Regierung wird härter ins Visier genommen, um sich der supranationalen Autorität zu unterwerfen. Dafür nützt man den bequemen Vorwand „Rechtsstaatlichkeit“.

 

Aktuell geht es für Ungarn um eine Milliarde Euro an EU-Kohäsionsmittel. Bis 31. Dezember hatte Ungarn Zeit entsprechende EU-Auflagen und „Korrekturmaßnahmen“ umzusetzen, eben um die „Rechtsstaatlichkeit“ zu verbessern. Jetzt ist diese Frist abgelaufen und damit ist ein „entscheidender Moment Beziehungen des Landes zur Europäischen Union“ erreicht, formuliert es Journalist Thomas Fazi.

Verliert Ungarn die Milliarde, wäre es das erste Mal, dass ein EU-Mitgliedstaat dauerhaft und unwiderruflich Finanzmittel im Rahmen der Verordnung über die Konditionalität der Rechtsstaatlichkeit verliert. 2020 wurde dieser Mechanismus eingeführt, er soll „die Einhaltung der EU-Werte durch die Mitgliedstaaten stärken“. Nicht vergessen: als man in Rumänien gerade Wahl absagen ließ – ohne Beweise für eine Wahlfälschung – war das rechtsstaatlich völlig in Ordnung. Wenn Gelder zurückgehalten werden, wann die „Rechtsstaatlichkeit“ gefährdet ist, das entscheidet die Definition Brüssels.

Nach der Einführung der neuen Verordnung fror die EU 6,3 Milliarden Euro an EU-Kohäsionsmitteln für Ungarn sowie rund 6 Milliarden Euro an Zuschüssen aus dem Covid-19-NGEU-Wiederauffüllungsfonds ein und begründete dies mit Unregelmäßigkeiten im öffentlichen Auftragswesen, Ineffizienz bei der Strafverfolgung und Korruption. In der Zwischenzeit hatte die Kommission aufgrund ähnlicher Bedenken auch EU-Mittel in Höhe von rund 140 Mrd. EUR für Polen eingefroren, das damals von der konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) regiert wurde.

Anna-Kaisa Itkonen, eine Sprecherin der Europäischen Kommission, bestätigte, dass die 1 Milliarde Euro, um die es geht, die erste Tranche der ausgesetzten Kohäsionsmittel darstellt. „Dieser Verlust ist unwiderruflich, und Budapest hat kein Recht, Berufung einzulegen“, sagte sie in einer Erklärung gegenüber der polnischen Nachrichtenagentur PAP. Die Mittel beziehen sich auf Verpflichtungen aus dem Jahr 2022, was bedeutet, dass Ungarn für Projekte, die es in diesem Jahr im Rahmen der EU-Kohäsionspolitik durchgeführt hat, keine Erstattung erhält. Sollte Ungarn den Empfehlungen der EU nicht nachkommen, könnte es bis Ende 2025 weitere 1,1 Milliarden Euro verlieren. Weitere Sanktionen könnten bis zum Ende des laufenden Finanzzeitraums im Jahr 2026 folgen, wenn keine grundlegenden Reformen durchgeführt werden.

Das wäre eine weitere wesentliche Verschärfung des „Krieges der EU gegen Orban“ (Fazi). Aber mehr: Es ist ein Krieg gegen die die Grundsätze der nationalen Souveränität und der demokratischen Selbstbestimmung der Nationen selbst. Es ist der Angriff der supranationalen Autorität der EU-(Kommission) gegen die Nationen. Denn der Mechanismus der „Rechtsstaatlichkeit“ ist mehr als nur eine Möglichkeit für die EU, den Mitgliedstaaten ihre „Werte“ durch finanzielle Erpressung aufzuzwingen.

Das wäre schon besorgniserregend genug, aber, so Fazi:

In Wirklichkeit ist die Rechtsstaatlichkeit mehr als alles andere ein bequemer Vorwand, um abweichende Regierungen ins Visier zu nehmen, die sich weigern, sich der wachsenden supranationalen Autorität und der breiteren politischen Agenda der EU anzupassen – auch in Fragen, die mit der Rechtsstaatlichkeit kaum etwas zu tun haben, wie etwa die Wirtschafts- und Außenpolitik. Aus diesem Grund drückt die EU bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit gerne ein Auge zu, wenn es sich um EU-freundliche Regierungen handelt, solange diese sich in den wirklich wichtigen Fragen, wie etwa der Ukraine, an die EU-Politik halten.

Polen ist ein Beispiel wie aus dem Lehrbuch: Innerhalb eines Jahres nach der Machtübernahme durch die linksliberale Pro-EU-Koalition unter Donal Tusk hat das Land einen beispiellosen Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit erlebt. Die neue Regierung hat eine autoritäre Machtübernahme gegen die Medien, die Justiz und ihre politischen Gegner eingeleitet. Doch all dies wurde in Brüssel mit Schweigen quittiert – und sogar bejubelt. Die Reaktion der Europäischen Kommission bestand darin, bis zu 137 Milliarden Euro an EU-Mitteln freizugeben, die unter der konservativen PiS-Regierung jahrelang eingefroren worden waren. Dies verdeutlicht die Scheinheiligkeit der gesamten Rechtsstaatlichkeitsdebatte – und die Bereitschaft der EU, bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit ein Auge zuzudrücken, wenn es sich um „befreundete“ Regierungen handelt.

Was Ungarn betrifft, so stellen die 1 Milliarde Euro, um die es geht, aus finanzieller Sicht kein großes Problem dar, denn sie machen etwa 0,5 % des BIP aus. Der jüngste Schritt ist jedoch ein Zeichen für die wachsende Aggressivität der EU gegenüber Regierungen, die sich weigern, sich an die Regeln zu halten. Ihre Bereitschaft, grundlegende demokratische Prinzipien mit Füßen zu treten, zeigte sich kürzlich in Rumänien, wo die EU die Entscheidung des Verfassungsgerichts unterstützte, die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen, aus denen der unabhängige populistische Kandidat Călin Georgescu als Sieger hervorging, wegen angeblicher – aber unbewiesener – „ausländischer Einmischung“ zu annullieren.

Dies stellt Ungarn vor ein Dilemma: Bisher ist es dem Land gelungen, selbst im Kontext der EU-Zwangsjacke ein hohes Maß an politischer Autonomie aufrechtzuerhalten. Da die EU jedoch die Schrauben gegenüber widerspenstigen Regierungen immer fester anzieht, könnten Staatsführer wie Orbán keine andere Wahl haben, als sich zwischen nationaler Autonomie und EU-Mitgliedschaft zu entscheiden.

 

 

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