Medien schüren Kriegsstimmung gegen Iran
Beitrag: InfoSperber
Red. Aus aktuellem Anlass erinnern wir an den Infosperber-Artikel vom 10. 10. 2024 über die kriegstreibende Rolle der Medien im Zusammenhang mit einem vermuteten Angriff Israels auf die Atomanlagen Irans.
Am 1. Oktober hatte «New York Times»-Kolumnist Bret Stephens den Ton vorgegeben. Der Titel seines Frontseite-Beitrags lautete (Infosperber hatte darüber berichtet):
«Wir müssen unbedingt in den Iran eskalieren […] Angefangene Kriege müssen bis zu einem eindeutigen Sieg fertiggekämpft werden.»
In der «Sonntags-Zeitung» vom 6. Oktober 2024 forderte Markus Somm:
«Die Atomanlagen im Iran müssen zerstört werden, solange das noch möglich ist – nie war die Gelegenheit günstiger. Die 181 Raketen rechtfertigen jeden Gegenschlag.»
Der Münchner «Merkur» titelte am gleichen Tag:
«Es ist an der Zeit, Irans Nuklearanlagen zu vernichten.»
Auf der Titelseite der «NZZ» verkündete Chefredaktor Eric Gujer am 5. Oktober 2024 mit grossen Buchstaben:
«Die Zeit der Mässigung ist vorbei»
Im seinem Leitartikel meinte Gujer, seit den «erfolgreichen Schlägen gegen die Hamas und den
Hisbollah» habe «Israel Spielraum gewonnen». Seine technologische, nachrichtendienstliche und militärische Übermacht seien erdrückend:
«Der Gedanke ist so verführerisch wie gefährlich, ein für alle Mal mit dem Regime in Teheran aufzuräumen.»
Gujer folgerte daraus:
«Für den Nahen Osten ist der Moment der Wahrheit gekommen […] Im Nahen Osten tanzen die Machtverhältnisse.»
Zwei Tage später, am 7. Oktober, stand für die NZZ fest:
«Israel steht vor Krieg mit Iran»
Israel kämpfe nicht nur im Gazastreifen und im Libanon, «sondern steht kurz vor einem grossen Krieg mit der Regionalmacht Iran».
Einen Tag später, am 8. Oktober, wusste Georg Häsler, der in der NZZ konsequent den Standpunkt der Nato vertritt und regelmässig zum Aufrüsten aufruft:
«Die Eskalation in Nahost ist kalkuliert […] Israel scheint einem Operationsplan zu folgen.»
Die USA hätten einen Flugzeugträger mit Begleitschiffen in den Nahen Osten entsandt: «Israel hätte damit für eine Luftoffensive gegen Iran die Rückendeckung der USA.» Das strategische Ziel Israels sei, die einzige Atommacht in der Region zu bleiben. Häsler weiss noch mehr: «Der israelische Operationsplan dürfte das Zeitfenster der Eskalation gezielt auf das Ende der Amtszeit von US-Präsident Joe Biden gelegt haben.»
In einem Gastbeitrag auf der Titelseite der «New York Times» erklärte Israels früherer Verteidigungsminister – und im Juli 2024 aus dem Kriegskabinett Israels ausgeschiedene – Benny Gantz am 7. Oktober 2024:
«Jetzt ist der Moment gekommen, gegen Iran vorzugehen.»
Der SRF-Tagesschau kann es nicht schnell genug gehen. Am 10. Oktober 2024 verbreitete sie die Schlagzeile:
«Israels Vergeltungsschlag gegen Iran lässt auf sich warten»
SRF-Tagesschau vom 10. Oktober 2024
In Talkshows im deutschsprachigen Fernsehen wird nicht mehr darüber diskutiert, ob Israel mit Hilfe der USA den Iran angreifen soll, sondern fast nur noch über die verschiedenen Angriffsziele: Die Atomanlagen oder doch nur die näher gelegenen Erdöl-Installationen? Oder ein Schlag gegen die Führung der Revolutionsgarden und deren Eliteeinheit der Quds?
Eine Zerstörung von Erdöl-Anlagen hätte weltweite Folgen
Die Preise von Benzin, Heizöl, Schweröl, Düngemitteln und Plastik würden spekulativ in die Höhe klettern. Betroffen wären in erster Linie afrikanische Länder sowie China, welches gegenwärtig das meiste Öl Irans importiert. Profitieren würden die Erdölkonzerne und die USA, welche ihr Fracking-Öl noch teurer exportieren könnten. Der grösste Profiteur wäre allerdings ausgerechnet Russland. Es könnte sein Öl teurer verkaufen, seinen Krieg finanzieren und auch Iran noch stärker unterstützen..
Vereinfachte Schuldzuweisungen
In Kriegszeiten neigen Aggressoren dazu, die Gegenseite als besonders gefährlich darzustellen. Im Fall Israels verbreiten westliche Think-Tanks, finanziert durch Rüstungskonzerne und das Pentagon, Narrative, die Iran als Drahtzieher sämtlicher Aktionen der Hisbollah und Huthis darstellen und verantwortlich macht. Diese Vereinfachung ignoriert die kulturellen Unterschiede zwischen diesen Gruppen.
Unbestreitbar finanziert Iran die ebenfalls schiitischen Kampftruppen der Hisbollah und der Huthis und versorgt sie mit Waffen. Doch diese als einfache Befehlsempfänger Irans darzustellen, greift zu kurz. Die Schiiten haben untereinander ähnlich viele Konflikte und Strömungen wie die Sunniten oder die Christen.
Ähnlich könnte man die USA für alle Vergehen ihrer militärisch unterstützten Verbündeten Ägypten oder Saudi-Arabien verantwortlich machen.
Verhandlungsangebot in den Wind geschlagen
Die Erzählung, Iran strebe seit jeher die Vernichtung Israels an, übergeht, dass es westliche Sanktionen waren, welche die Hardliner in Iran gestärkt haben. Westliche Sanktionen waren wesentlich daran beteiligt, dass sich die radikalen Kräfte in Iran gegen die gemässigten durchsetzen konnten. Schon 1995 hatte die Clinton-Regierung scharfe Sanktionen verhängt, obwohl Iran damals keine militärische Bedrohung darstellte. Das Land war schwer geschwächt durch den langen Krieg mit dem Irak.
Im Jahr 2003, kurz nach dem Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein, bot Iran unter dem reformorientierten Präsidenten Mohammad Khatami den USA ein weitreichendes Verhandlungsangebot an. Es ist heute als «Teheraner Verhandlungsangebot» bekannt. Das Angebot, welches die Schweizer Botschaft in Teheran der US-Regierung übermittelte, hätte die Beziehungen zwischen den beiden Ländern deutlich verbessern können. Iran hätte Israel im Rahmen einer Zweistaatenlösung als Staat anerkannt.*
Nahostexperte Michael Lüders kommentierte in seinem Buch «Krieg ohne Ende?»:
«Wäre Washington auf diesen konstruktiven Vorschlag eingegangen, könnten Hunderttausende Menschen noch leben. Doch israelische Politiker, die AIPAC und andere proisraelische Lobbygruppen setzten alle Hebel in Bewegung, um sowohl die Regierung Clinton als auch die Regierung Bush von Verhandlungen mit dem Iran abzuhalten, und sie setzten sich in fast allen Fällen durch.**»
Israel tat fast immer alles, um eine Zweistaatenlösung zu verhindern. Der Atomvertrag von 2015 («Joint Comprehensive Plan of Action») brachte das letzte Mal etwas Hoffnung, aber Präsident Donald Trump stieg drei Jahre später vom Vertrag aus.
Selten wird darüber informiert, dass die Likudpartei, als sie im Jahr 1977 zum ersten Mal an die Macht kam, in ihrem Parteiprogramm festschrieb:
«Zwischen dem Mittelmeer und dem Jordanfluss wird es nur eine israelische Souveränität geben.»
Das schliesst eine Zweistaatenlösung aus. Seither ist die Likudpartei dabeigeblieben, zwischen dem Jordan bis zum Meer keine territorialen Zugeständnisse einzugehen. Diese Haltung gründet auf historischen, sicherheitspolitischen und ideologischen Überzeugungen, die tief in der Parteigeschichte und -philosophie verwurzelt sind.
Militärisch und finanziell bleibt Israel von den USA abhängig. Der Nahostexperte Ali Fathollah-Nejad betont: «Ohne gelbes oder grünes Licht aus Washington sind manche israelische Aktionen undenkbar.»
Öffentliche Mobilisierung für die Kriege in Afghanistan und Irak
Afghanistan
Neben dem Verfolgen von angeblichen Al-Qaida-Drahtziehern des Attentats von 9/11, dem Bekämpfen von Terroristen im «Krieg gegen den Terror» und der Erhaltung der Sicherheit der USA gaukelte der militärisch-industrielle Komplex der Öffentlichkeit vor, es ginge auch um die Rechte der unterdrückten Frauen, um Menschenrechte allgemein, um Demokratie sowie um das Zerstören des Opium-Geschäfts.
Im Vorfeld des Nato-Angriffs auf Afghanistan im Jahr 2001 waren westliche Medien voller Erzählungen über Missstände in Afghanistan.
Resultat: 240’000 Tote und mehr als doppelt so viele Verwundete.
Irak
Die US-Regierung präsentierte der nationalen und internationalen Öffentlichkeit folgende Erzählungen:
Der irakische Diktator Saddam Hussein verfüge über chemische, biologische und möglicherweise nukleare Waffen. Diese Waffen seien eine unmittelbare Bedrohung für die USA und ihre Verbündeten.
Zudem unterhalte der Irak Verbindungen zu terroristischen Gruppen wie Al-Qaida und unterstütze diese möglicherweise. Präsident Bush und seine Berater versuchten, eine Verbindung zwischen dem irakischen Regime und den Terroranschlägen von 9/11 herzustellen, obwohl es dafür keine Beweise gab.
Ausserdem gaukelten die US-Regierung und «Think-Tanks» des militärisch-industriellen Komplexes vor, mit einem Regimewechsel könne im Irak eine Demokratie eingeführt werden. Ein demokratischer Irak könne «ein Modell für die gesamte Region werden und den Nahen Osten stabilisieren» – so beispielsweise Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Vizepräsident Dick Cheney.
Die Befreiung des irakischen Volkes von Saddam Husseins brutaler Herrschaft sei deshalb ein humanitäres Ziel und eine moralische Verpflichtung der USA. Das Regime war für massive Menschenrechtsverletzungen, wie den Chemieangriff gegen die kurdische Bevölkerung, bekannt. Die USA präsentierten den Krieg als eine Chance, das irakische Volk von einer Tyrannei zu befreien.
Man stellte den Krieg auch als präventive Massnahme dar, um zukünftige Konflikte und Bedrohungen in der Region zu verhindern.
Im Vorfeld des Einmarschs in Irak im Jahr 2003 waren westliche Medien voller Erzählungen über Missstände im Irak und über die hohe Wahrscheinlichkeit, dass Saddam Hussein über chemische, biologische und möglicherweise nukleare Waffen verfüge.
Resultat: 190’000 Tote und mehr als doppelt so viele Verwundete.
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FUSSNOTEN
* Inhalt des iranischen Verhandlungsangebots im Jahr 2003
Das Verhandlungsangebot des Iran umfasste mehrere bedeutende Punkte, darunter:
1. Nuklearprogramm:
Der Iran war bereit, sein Atomprogramm transparent zu machen und in vollem Umfang mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) zusammenzuarbeiten, um Bedenken hinsichtlich der Entwicklung von Atomwaffen auszuräumen.
2. Terrorismus und Qaida:
Der Iran bot an, terroristische Organisationen, einschliesslich der Hisbollah und palästinensischer Gruppen wie Hamas und Islamischer Dschihad, nicht mehr zu unterstützen, wenn sie von iranischem Boden aus operieren. Iran würde auch Druck auf diese Organisationen ausüben, keine Anschläge auf israelische Zivilisten mehr auszuüben. Darüber hinaus bot der Iran die Zusammenarbeit im Kampf gegen Al-Qaida an. Der Iran hatte bereits zuvor einige Mitglieder von Al-Qaida verhaftet und war zu weiteren Massnahmen bereit.
3. Nahost-Friedensprozess und Anerkennung Israels:
Ein besonders bemerkenswerter Punkt war die Bereitschaft des Iran, den arabischen Friedensplan (bekannt als die «Zwei-Staaten-Lösung») zu akzeptieren, der die Anerkennung Israels und die Schaffung eines unabhängigen palästinensischen Staates vorsah. Dies wäre ein bedeutender Schritt gewesen, da die offizielle iranische Politik zu diesem Zeitpunkt (und bis heute) die Ablehnung der Existenz Israels war.
4. Unterstützung für Irak und Afghanistan:
Der Iran bot an, bei der Stabilisierung des Iraks und Afghanistans zu helfen. Dies hätte die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Taliban in Afghanistan und der Unterstützung der neuen irakischen Regierung nach dem Sturz Saddam Husseins bedeutet.
5. Beziehungen zwischen den USA und Iran:
Der Iran signalisierte seine Bereitschaft, direkte diplomatische Beziehungen mit den USA aufzunehmen und Schritte zur Normalisierung der Beziehungen zu unternehmen. Dies wäre ein historischer Schritt gewesen, da die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern seit der Geiselnahme in der US-Botschaft in Teheran 1979 abgebrochen waren.
Die Reaktion der USA
Trotz des weitreichenden Angebots wurde es von der US-Regierung unter Präsident George W. Bush ignoriert. Zu dieser Zeit war die US-Regierung stark auf ihre militärischen Erfolge im Irak und Afghanistan fokussiert und verfolgte eine harte Linie gegenüber dem Iran. Elemente der US-Regierung, insbesondere Vizepräsident Dick Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, bevorzugten eine aggressive Haltung gegenüber dem Iran und betrachteten das Regime als Teil der «Achse des Bösen». Das Angebot wurde als unglaubwürdig oder unzureichend betrachtet.
Zusätzlich gab es in Washington den Glauben, dass der Iran aufgrund der Schwäche nach der US-Intervention im Irak gezwungen wäre, in Zukunft ohne Verhandlungen nachzugeben. Diese Annahmen erwiesen sich jedoch als falsch, und die Spannungen zwischen den USA und dem Iran nahmen in den folgenden Jahren weiter zu.
Das Teheraner Verhandlungsangebot von 2003 wird oft als verpasste Chance betrachtet, die Beziehungen zwischen den USA und dem Iran grundlegend zu verbessern und möglicherweise einige der Konflikte zu vermeiden, die in den folgenden Jahrzehnten auftraten. Obwohl das Angebot aus heutiger Sicht bemerkenswerte Zugeständnisse enthielt, entschied sich die US-Regierung damals, es zu ignorieren, was den Grundstein für die anhaltenden Spannungen legte.
**Vergleiche John J. Mearsheimer/Stephen M. Walt: «Die Israel-Lobby. Wie die amerikanische Aussenpolitik beeinflusst wird», Franfurt am Main 2007, S. 396
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Weiterführende Informationen
- Infosperber vom 7. Oktober 2024:
«Der 7. Oktober 2023 ist an allem schuld»: falsch!
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Zum Infosperber-Dossier:
Atommacht Israel und ihre Feinde
Teufelskreis: Aggressive Politik auf allen Seiten festigt die Macht der Hardliner bei den jeweiligen Gegnern.