In Portugal entscheidet die Mehrheit – und Spiegel-Online kann es nicht fassen
11. November 2015 l Heiner Flassbeck l Europa, Wirtschaftspolitik
In Portugal ist die konservative Minderheitsregierung gestern wie erwartet gestürzt worden. Immerhin ist damit dem Ergebnis der Wahlen Rechnung getragen worden. Nun ist es am Staatspräsidenten zu entscheiden wie es weiter geht.
Nicht zu fassen ist allerdings die Einseitigkeit, mit der ein Medium wie Spiegel-Online diese normale demokratische Entscheidung kommentiert. Stefan Schultz fehlen schier die Worte angesichts der Tatsache, dass eine Mehrheit im Parlament sich anmaßt, die Macht zu übernehmen und wirklich etwas zu ändern.
Da werden dann reihenweise konservative Ökonomen aufmarschieren gelassen, die unisono genau wissen, dass jetzt der Untergang ganz nahe ist. Folglich ist es für den Kommentator nur konsequent, dem Leser gequirlten Käse als ökonomische Meinung zu verkaufen: „Die meisten Ökonomen glauben, dass die Reformen und Einsparungen vorangehen müssten, um die Wirtschaft dauerhaft zu stabilisieren. Die hohen Schulden müssen demnach sinken, der angeschlagene Bankensektor braucht rasche Reformen, die Produktivität des Exportsektors muss weiter steigen.“
Diese „meisten Ökonomen“, lieber Herr Schultz, sind, wenn es sie wirklich gibt, komplette Idioten, denn wer nach all den Jahren von Stagnation und Rezession in Europa immer noch nicht begriffen hat, dass „Reformen und Einsparungen“ niemals „vorangehen“ gehen können bei der Stabilisierung einer Wirtschaft, dem ist nicht zu helfen. Und dass „hohe Schulden“ nicht sinken können, wenn niemand anderes Schulden macht, das wird Spiegel-Online wahrscheinlich in hundert Jahren noch nicht verstanden haben.
Heiner Flassbeck ist ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler. Er war von 1998 bis 1999 beamteter Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen und von Januar 2003 bis Ende 2012 Chef-Volkswirt (Chief of Macroeconomics and Development) bei der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf, wo er aus Altersgründen ausschied.