Türkei: Von der Wahlfarce zur Verfassungsdeformation
Jan van Aken
Am 1. November fanden in der Türkei Neuwahlen statt, nachdem die Wahlen vom Sommer Erdogan und seiner AKP nicht das erwünschte Ergebnis gebracht hatten – eine absolute Mehrheit mit der Option Verfassungsänderung. Denn Erdogan will nichts anderes als die konstitutionelle Festigung seiner autoritären Präsidentenrolle, eine Schwächung des Parlaments und der Demokratie.
So bitter es ist: Die nun erfolgten Wahlen, die ich selber als Mitglied einer Hamburger Delegation in der Region Hakkari beobachten konnte, geben der AKP die absolute Mehrheit.
Sie ist die klare Siegerin der Wahl. Für unsere Schwesterpartei, die linke und prokurdische HDP, hat es immerhin noch zum Wiedereinzug in Fraktionsstärke gereicht – zu mehr allerdings leider nicht. Die Wahlen waren, wie wir HamburgerInnen selbst vor Ort erfahren haben, alles andere als frei und fair, insbesondere nicht in den kurdischen Gebieten des Landes: Überall gab es massive Einschüchterungen durch die Polizei und WählerInnen wurden von der Stimmabgabe abgehalten. Bereits im Vorfeld der Wahlen war eine massive Repressionswelle über alle KritikerInnen der AKP hereingebrochen, in Verbindung mit den drohenden Terrorakten durch Islamisten konnte von einem irgendwie „normalen“ Wahlkampf also ohnehin keine Rede sein. Ob das Ergebnis der AKP aber alleine mit den Manipulationen zu erklären ist, ist für mich zumindest im Augenblick noch fraglich. Aber die Alternative ist eigentlich noch schlimmer, denn sie bedeutet, dass die AKP-Linie einer Politik der Angst bei einem großen Teil der Bevölkerung aufgegangen ist: Diese Menschen haben Angst vor den äußeren und inneren Konflikten der Türkei und wählen dann lieber einen autoritären Despoten wie Erdogan als die Ungewissheit, egal ob sie die bunten Fahnen der Gezi-Proteste trägt oder die gelben Banner der Revolution im benachbarten Rojava.
Vor diesem Hintergrund mache ich mir wirklich Sorgen um die Zukunft der Demokratie in der Türkei, insbesondere, da sich die führenden PolitikerInnen Europas entschlossen haben, diese Entwicklung zu dulden, wenn die Türkei dafür die Flüchtlinge stoppt. Es ist mit weiteren Drangsalierungen und Einschüchterungen der Protestbewegungen, der kurdischen Gruppen und Verbände, aber auch der Journalistinnen und Journalisten im Lande zu rechnen. Auch für die Revolution im kurdischen Rojava verheißt diese Wahl nichts Gutes, die Freundinnen und Freunde dort werden also auch in Zukunft auf unsere Solidarität angewiesen sein!
Jan van Aken ist ein deutscher Aktivist für Greenpeace und Linker Politiker. Er ist Mitglied des Auswärtigen Ausschusses und des Unterausschusses für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung im Deutschen Bundestag