08. Mai 2017   Aktuell

Tatort Helmstedt - gute Zusammenarbeit der Justiz mit dem Helmstedter Bürgermeister?

  Beitrag: Ulrich Engelke, 05.05.2017

 

 

 

 

Aufschlussreiches sieht man bei den Vorgängen um die Verurteilung der einstmaligen   Helmstedter Ratsfrau Engelke (DIE LINKE.) durch das Helmstedter Amtsgericht am 03. Mai 2017. Es gibt einige zum Kopfschütteln anregende Kuriosa. Am Anfang der stand `mal wieder das Wort in Form einer Veröffentlichung der Ratsfrau über ein nach ihrer Ansicht „frisiertes“ Protokoll, die der Helmstedter Bürgermeister zu verantworten hatte,

denn das dem Bürgermeister unterstellte Ratsbüro verfasst die Niederschriften, die er verantwortlich unterschreibt. Bis auf eventuelle kleine Änderungen werden üblicherweise anschließend diese Protokolle vom Rat oder Ausschuss nur noch „durchgewunken“. Am Rande, die auszugsweise Veröffentlichung aus einem nichtöffentlichen Teil war gemäß eines Urteils des Oberverwaltungsgerichtes Lüneburg nach Meinung der Ratsfrau zulässig.

Zitat: „Die Sitzungen des Hauptausschusses sind stets nicht öffentlich (§ 78 Abs. 2 NKomVG), daraus folgt aber nicht, dass sämtliche in einer Sitzung des Hauptausschusses erörterten Angelegenheiten der Natur der Sache nach geheimhaltungsbedürftig sind (OVG Lüneburg, U. vom 27. 6. 2012 – 10 LC 37/10 –, NdsVBl. 2012 S. 274, 276; Thiele , NKomVG, § 40 Erl. 3). Auch hier kommt es auf die objektive Geheimhaltungsbedürftigkeit an, nicht auf die formale Frage der Nichtöffentlichkeit.“     [Zitatende]

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig „beseitigte“ diese mutmaßliche Fälschung im Protokoll, indem sie nicht das amtliche durch den Rat der Stadt abgesegnete Protokoll mit der  Tonaufzeichnung aus der Sitzung verglich, sondern die Gleichheit der Abschrift der Tonaufzeichnung mit der Tonaufzeichnung selbst verglich. Unterschlagen hatte der Bürgermeister im amtlichen Protokoll, dass er der Ratsfrau mit einem Rauswurf aus einem Ausschuss durch die Polizei gedroht hatte. Im Protokoll steht lediglich eine angebliche Bitte an die Ratsfrau, den Raum zu verlassen. Und dieser „Bitte“ hatte sich die Ratsfrau selbstverständlich demütig gebeugt und den Raum verlassen. Ha-Ha-Ha.

Diese (unabsichtlich?) einseitige Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft wurde dann mittels eines nur vagen Hinweises auf eine Ermittlung gegen die Ratsfrau durch das Polizeikommissariat Helmstedt fortgeführt. Anschließend setzte die Staatsanwaltschaft Braunschweig einen Strafbefehl gegen die Volksvertreterin der Linken in Szene. Bis dahin wurden der Ratsfrau keine Vorwürfe genannt und somit wurde der Ratsfrau die gesetzlich nach der Strafprozessordnung vorgeschriebene Anhörung verweigert. Und der Strafbefehl wurde losgelassen, obwohl sich die Staatsanwaltschaft (Notiz in den Akten) des Verfahrenmangels sehr wohl bewusst war.

Getoppt wird diese fehlende Anhörung dann in der mündlichen Urteilsbegründung der Helmstedter Amtsrichterin Bettge, wenn sie die Angeklagte wegen einer Verleumdung des Helmstedter Bürgermeisters Wittich Schobert im „Namen des Deutschen Volkes“ verurteilt, weil die Volksvertreterin das Wort „Polizeigewalt“ und nicht „Polizeieinsatz“ in einem Homepagebeitrag verwendet hat. Aber - auch zur Klärung des Unterschiedes der Begriffe „Polizeieinsatz“ und „Polizeigewalt“ wurde die ehemalige Ratsfrau im Gerichtssaal nicht angehört.
Artikel der news38, hier nachlesen.

Es steht fest, dass der gewichtige Helmstedter Bürgermeister die Anweisung zu einem Polizeieinsatz gegen die Volksvertreterin gegeben hatte, weil sie es wagte, einer Beschuldigung durch den Bürgermeister etwas entgegen zu setzen und ihr Recht auf Gehör einforderte. Und, er handelte eigenmächtig, denn er hätte gemäß Geschäftsordnung den Ausschuss fragen müssen, ob dieser der von ihm Beschuldigten mit Zweidrittelmehrheit ein Rederecht zuspricht. Sehen wir vom Menschenrecht auf Anhörung und den „Guten Sitten“ `mal ganz ab.

Zu bestrafen ist nun die Verwendung des Wortes „Polizeigewalt“, obwohl die Polizei nicht zum „Kaffeeekränzchen“ eingeladen wurde, sondern bei Verweigerung den Raum zu verlassen, in unvorhersehbarer Weise Gewalt hätte anwenden können. Oder sind die Pistolen mit „Platzpatronen“ geladen und sind die Schlagstöcke aus Schaumstoff? Ein Einsatz von  körperlicher Gewalt durch die Polizei war durchaus nicht ausgeschlossen, hätte die Ratsfrau den Saal nicht geräumt. Zudem hatten zwei Ratsherren der CDU, nach dem der Bürgermeister mit der Polizei gedroht hatten ihr Handy gezückt und gestikulierend hinein gesprochen. Wer wurde angerufen und „informiert“. Die Polizei? Außerdem, wie eine Person den gegen ihn gerichteten „Polizeieinsatz“ versteht und mit welchen Assoziationen und persönlichen Erfahrungen er ihn verbindet, steht auf einem anderen Blatt. Das ist höchst individuell. Eine halbe Hundertschaft hat auch schon `mal in Berlin eine Oma erschossen.

Im Urteil ging es um Auffassungen und Wortbedeutungen. Wie seinerzeit die Ratsfrau diese Begriffe für sich selbst interpretierte, wurde nicht abgefragt. Da eine gerichtliche Entscheidung wegen Verleumdung Vorsatz bedingt, hätte jedoch zwingend geklärt werden müssen, ob die Ratsfrau bereits die Androhung von Polizei als „Gewalt“ verstand oder mit Gewalt gerade auch in der damaligen Situation verband. Diese jedem Richtspruch vorausgehende Klärung bei entscheidenden Sachfragen hat die Helmstedter Amtsrichterin jedenfalls unterlassen. Der zur Verurteilung erforderliche Vorsatz einer Falschdarstellung an einer entscheidenden Stelle wurde nicht bewiesen.

Es bleibt festzuhalten: Der Umgang mit Rechten der Angeklagten war sowohl bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig als auch beim Helmstedter Amtsgericht  bedenklich. Lässt sich aus allen oben aufgeführten Verhaltensweisen eine von oben nach unten gerichtete Klassenjustiz beziehungsweise eine politische Justiz erkennen? Aber das muss jeder Leser für sich selbst entscheiden.


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