18. Oktober 2019   Aktuell

Barcelona: Seit 4 Abenden in Folge Demos für die Unabhängigkeit Kataloniens

Anhänger der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung sind in Barcelona in der Nacht zum Freitag den vierten Abend in Folge auf die Straße gegangen, um gegen das Urteil des Obersten Gerichtshofs zu demonstrieren.

Im Oktober 2017 hatte eine Mehrheit für die Ablösung Kataloniens von Spanien gestimmt. Daraufhin wurden die Regierungsgeschäfte kommissarisch von Madrid übernommen und einige Unabhängigkeitskämpfer verhaftet. Für den geutigen Freitag ist ein Generalstreik geplant und es soll zu weiteren Großdemonstrationen kommen. (Quelle: Stern)

Kataloniens exekutiver Präsident Quim Torra kündigt neues Referendum an


Quelle: Prof. Dr. Axel Schönberger
Deutschland

17. Okt. 2019 —

Trotz eines offensichtlich verfassungswidrigen Beschlusses des spanischen Verfassungsgerichts, der dem katalanischen Parlament bei Strafandrohung verbietet, über das Selbstbestimmungsrecht des katalanischen Volkes zu debatieren, läßt sich Kataloniens exekutiver Präsident Quim Torra nicht aus der Ruhe bringen. Am 17. Oktober 2019 hat er in einer dreißigminütigen Rede im katalanischen Parlament angekündigt, daß noch in der laufenden Legislaturperiode — mithin innert der kommenden zwei Jahre — ein weiteres Referendum abgehalten werden solle, mittels dessen das katalanische Volk sein — von der spanischen Verfassung garantiertes — kollektives Menschenrecht auf Selbstbestimmung ausüben werde. Unbeirrt läßt er sich nicht von den Versuchen des spanischen Staates, die Ausübung der Grund- und Menschenrechte zu kriminalisieren, einschüchtern, sondern übt die ihm und dem katalanischen Volk durch die spanische Verfassung garantierten Grund- und Menschenrechte aus. Seine Ankündigung, die mit dem legitimen Präsident Kataloniens, Carles Puigdemont, abgesprochen gewesen sein dürfte, überraschte sichtlich alle Parlamentarier einschließlich seiner Minister.

«Si per posar les urnes ens condemnen a 100 anys, s'hauran de tornar a posar urnes per a l'autodeterminació.»

«Wenn man uns zu 100 Jahren verurteilt, weil wir Wahlurnen aufgestellt haben, wird man erneut Wahlurnen für die Selbstbestimmung aufstellen müssen.»

 

«Tenim un deure immens: fixar les vies per concretar l'exercici del dret a l'autodeterminació en el termini més breu possible. I en el marc d'aquest acord nacional, defensaré que en aquesta legislatura s'acabi tornant a exercir el dret a l'autodeterminació. Ara es tracta d'aconseguir-ho, no només d'intentar-ho.»

«Wir haben eine riesengroße Verpflichtung: die Wege festzulegen, um die Ausübung unseres Rechts auf Selbstbestimmung im kürzestmöglichen zeitlichen Rahmen zu konkretisieren. Und im Rahmen dieser nationalen Übereinkunft werde ich mich dafür einsetzen, daß in der laufenden Legislaturperiode das Recht auf Selbstbestimmung erneut ausgeübt wird. Jetzt geht es darum, es zu erreichen, nicht nur darum, es zu versuchen.»

Während Quim Torra ebenso wie alle führenden Vertreter der katalanischen Souveränitätsbewegung und der «Tsunami Democràtic» immer wieder zu Gewaltlosigkeit aufrufen und die ständigen Gewaltexzesse, die vor allem von Polizeikräften, aber seit wenigen Tagen auch von Demonstranten begangen wurden und werden, mit klaren Worten verurteilen, nutzt ein neofaschistischer Mob die Massenaufmärsche, um zu Gewalt zu greifen und insbesondere auch die friedlichen Demonstranten für Kataloniens Souveränität — das ist die riesige Mehrheit der Menschen, die zur Zeit Kataloniens Straßen und Plätze füllen — physisch angreifen.

Wie bereits am 1. Oktober 2019 ist eine unglaublich brutale, völlig unverhältnismäßige Polizeigewalt zu beobachten, die eines zivilisierten Rechtsstaats unwürdig ist. Sie ist eine Schande für Spanien und zeugt von einer Barbarei, die in anderen Ländern Europas unvorstellbar wäre. Ein Journalist des renommierten katalanischen Nachrichtenportals VilaWeb erlebte die polizeiliche Aggression hautnah mit.

Auch im Baskenland wurden wieder einmal, wie in der spanischen Monarchie üblich, Schlagstöcke gegen Demonstranten eingesetzt.

Die spanische Regierung scheint darauf zu setzen, die berechtigte Kritik an den in erster und einziger Instanz ergangenen Unrechtsurteilen, die aus den politischen Gefangenen am 14. Oktober 2019 politische Märtyrer gemacht haben, und die friedlichen Massenproteste in der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit mit Bildern von Gewaltexzessen und Ausschreitungen zu überlagern, die so gar nicht zu dem zu passen scheinen, wie die Katalanen bislang über Jahre friedlich demonstrierten. Es wird sich noch erweisen, ob sich hier wirklich ein geringer Teil der Befürworter einer Souveränität Kataloniens radikalisiert haben sollte, ob neofaschistische Gruppen — die sogenannten «Ultras» — hinter vielen der Ausschreitungen stecken oder ob sogar eine mit Wissen und Duldung des spanischen Staates vorbereitete und durchgeführte Aktion vorliegen könnte. In jedem Fall sind jedoch sowohl die Gewaltexzesse auf Seiten eines sehr kleinen Teils der Demonstranten als auch das unverhältnismäßige, mutmaßlich in Einzelfällen sogar kriminelle Agieren der Polizeieinheiten scharf zu verurteilen und würden, wenn Spanien denn ein Rechtsstaat wäre, auch gleichermaßen strafrechtlich verfolgt werden, womit freilich nicht zu rechnen sein dürfte.

Daß Spanien derzeit bereits die strafrechtliche Verfolgung weiterer katalanischer Politiker, darunter insbesonderer Quim Torra, zu planen scheint, pfeifen bereits die Spatzen von den Dächern. Vermutlich wird man ihm eine wie auch immer geartete Verbindung mit einer angeblich «terroristischen» Gruppierung unterstellen, um unter diesem Vorwand strafrechtlich gegen ihn vorgehen zu können. Der juristischen Phantasie von Staatsanwälten und Richtern ist nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs Spaniens über die politischen Gefangenen aus Katalonien ja keine Grenze mehr gesetzt, die Grundrechte stehen in Spanien nur noch auf dem Papier. Spanien hatte die Wahl zwischen Zivilisation und Barbarei. Es hat sich für die Barbarei entschieden. Ein Staat der Barbarei, der ein demokratisch gewähltes Parlament ohne ausreichende Rechtsgrundlage in seiner eigenen Verfassung auflöst, demokratisch gewählte Politiker ohne tatsächlichen Grund mit den Mitteln des Strafrechts aus dem Verkehr zu ziehen versucht und ein ganzes Volk wie eine unterworfene Kolonie behandelt, hat in einer Europäischen Union, die sich auf das Fundament der Menschenrechte beruft, nichts mehr verloren! Es bedarf der Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs für den Katalonienkonflikt, um die mutmaßlichen Verbrechen spanischer Staatsanwälte, Richter, Polizisten und Regierungsmitglieder strafrechtlich angemessen aufzuarbeiten.

Am 18. Oktober 2019 findet in Katalonien ein erster Generalstreik aus Protest gegen die Unrechtsurteile des Obersten Gerichtshofes statt. Weitere werden folgen. Der Ansehensverlust Spaniens in der Welt ist bereits jetzt verheerend. Immer mehr Menschen begreifen, was es mit dem haßerfüllten Antikatalanismus der Spanier auf sich hat und warum die Katalanen nicht länger in einer Monarchie von Francos Gnaden leben wollen, in der sie mit Tränengas und Schlagstöcken angegangen werden, wenn sie im Rahmen der ihnen von der spanischen Verfassung an sich garantierten Rechte ein vom spanischen Strafgesetzbuch nicht verbotenes Referendum durchführen!

 

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