30. Dezember 2020   Aktuell

Wer 's glaubt - die Navalny-Saga und mehr

Quelle: Infosperber

«Wer’s glaubt, zahlt e Batze», so heisst ein alter Spruch in der Schweiz.

Dass Navalny, der als Oppositioneller in Russland den von ihm angestrebten politischen Erfolg nie hatte, jetzt vier Monate nach seinem «Fall» auch noch einen russischen Geheimdienstagenten dazu gebracht haben soll, einen Telefon-Anruf von einem Unbekannten anzunehmen und ihm die Geschichte des Anschlags detailliert zu erzählen, macht die Satire perfekt.

Da können die wirklichen Geheimdienst-Spezialisten, darunter etwa der ehemalige Chef des tschechischen militärischen Geheimdienstes Andor Šándor, – gewohnt, russische Spionage abzuwehren – nur noch lachen. Sogar öffentlich.

Die Novitschok-Saga

Der ehemalige tschechische Geheimdienstchef Andor Šándor mag nur noch spotten: «Die Nowitschok-Saga – der Fall Nawalny – hat eine echte ‹weihnachtliche› Auflösung.

Der russische Oppositionsführer telefoniert von Deutschland aus mit seinem Mörder vom FBS, der, in der Annahme, mit seinem Chef zu sprechen, ihm erzählt, wie alles abgelaufen ist. Er hat kein Problem damit, mit seinem ungesicherten Telefon über alle Details der mörderischen Aktion mit seinem ‹Vorgesetzten› zu sprechen, dessen Stimme er problemlos mit Nawalny verwechselt. Ein weiterer Kommentar erübrigt sich …»

(„Sága novičok – případ Navalnyj dostala to pravé ‚vánoční‘ rozuzlení. Ruský opoziční předák telefonicky hovoří z Německa se svým vrahem z FSB, který, v domnění, že mluví se svým šéfem, mu sdělí, jak to vše mohlo proběhnout. Nemá problém mluvit nezjištěným telefonem o všech detailech vražedné akce se svým ‚nadřízeným‘, jehož hlas si v pohodě splete s Navalným. Za větší komentář to ani nestojí,“ poznamenal Šándor.)

 

2018 durften saudi-arabische Diplomaten in ihrer Botschaft in Istanbul den im Ausland lebenden saudischen Journalisten Jamal Khashoggi umbringen. Reaktion in Deutschland: null. Vor einem Jahr durften die US-Amerikaner im Irak mit Drohnen den iranischen Politiker Qasem Soleimani abschiessen. Reaktion in Deutschland: null. Vor wenigen Wochen durfte der israelische Mossad im Iran den iranischen Nuklear-Wissenschaftler Mohsen Fachrisadeh auf offener Strasse umbringen. Reaktion in Deutschland: null. In keinem Fall kam es zu Sanktionen. Aber die behauptete Attacke auf den Russen Alexei Navalny in Russland ist über Monate hinweg ein Thema nicht nur für Deutschland, sondern sogar für die NATO, und sie hat zu neuen massiven Sanktionen gegen Russland geführt.

 

Was steckt hinter dieser neuen Politik Deutschlands?

Die Ursache der neuen Politik der Bundesrepublik Deutschland, wieder mehr aufzurüsten, ist nicht einfach zu erkennen. Steht Deutschland unter vermehrtem Druck der USA? Veranlasst vielleicht der angekündigte Abzug von 10’000 der gegenwärtig 34’000 in Deutschland stationierten US-amerikanischen Soldaten aus Deutschland – 5000 zurück in die USA und 5000 nach Polen – die deutsche Regierung, sich noch russlandfeindlicher zu zeigen, um die USA deutschlandfreundlicher zu stimmen? Das ist denkbar. Allerdings dürfen die USA in Deutschland ja eh schon alles tun, was sie wollen, sie lagern hier ja sogar Atombomben und betreiben Relais-Stationen für den Drohnen-Einsatz im Nahen Osten.

Oder ist die Ursache für immer mehr Russenhass vielleicht die deutsche Rüstungsindustrie, die zu wenig Aufträge hat und für neue Aufträge Kriegsstimmung braucht? Der Börsenkurs der deutschen Waffenschmiede «Rheinmetall» ist im März 2020 zwar tatsächlich auf unter die Hälfte des Höchstwertes im Jahr 2019 gefallen (von 117,15 auf 53,74). Offensichtlich hatten die Anleger Angst, die Covid-19-Pandemie könnte die Kriegslust der Politiker dämpfen. Aber seither ist der Kurs wieder deutlich angestiegen, und mit gut 6 Milliarden Euro Umsatz ist die Rüstungsfirma «Rheinmetall» wirtschaftlich für Deutschland dann doch nicht so relevant.

Bleibt als mögliche Ursache für die zunehmende Russlandfeindlichkeit also noch die Variante, es den Russen nach den kriegsentscheidenden deutschen Niederlagen 1943 in Stalingrad und Kursk endlich mal zu zeigen, wer stärker ist. Steigender Revanchismus also? Diese dritte Variante, wiedererwachter Revanchismus gegen Russland, wäre die traurigste, aber sie ist nicht auszuschliessen. Wie sagt doch im russischen Film «Der Weisse Tiger» der Panzersoldat Ivan Naidyanov, der weisse Tiger, metaphorisch für den stets wiederkehrenden Russenhass der Europäer: «Er wird zwanzig Jahre warten, fünfzig, vielleicht auch hundert. Dann wird er wieder hervorkriechen …» Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sind es jetzt 75 Jahre …

Womit wir wieder bei der Geschichte gelandet sind. Der sogenannte Blankoscheck, den der deutsche Kaiser Wilhelm II. am 5. Juli 1914 Österreich-Ungarn gab, war grünes Licht für den Angriff Österreichs auf Serbien, was zum Ersten Weltkrieg führte. Ein paar Jahre später, im April 1917, sollte der Transport Wladimir Iljitsch Lenins im «plombierten Wagen» aus dem Schweizer Exil nach St. Petersburg helfen, Russland durch die Revolution in noch mehr interne Probleme zu führen und so als Kriegsfeind zu schwächen – was auch gelang. Und schon 1925 propagierte Adolf Hitler in seinem Buch «Mein Kampf» wieder, für Deutschland «Grund und Boden» in Russland zu holen. Geschichte ist nicht immer «Geschichte» im Sinne von: darf abgehakt werden.

Optimismus ist immer erwünscht

Es ist immer schön, wenn die Menschen mit Optimismus in ein neues Jahr starten. Diesmal allerdings gilt es, besonders aufmerksam und vorsichtig zu sein. Die polarisierte Gesellschaft in den USA und auch andernorts, der neue Polit-Stil, «Deals» auf Kosten Dritter zu machen, und die zunehmende Stimmungsmache in Deutschland gegen Russland sind Signale, die ernst genommen werden müssen.

 

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