Vor dem Verfassungsgericht Karlsruhe - Deutschlands Mitverantwortung für Tötungen durch US-Drohnen
Muss die Bundesregierung US-Drohnenangriffe stärker kontrollieren?
In Karlsruhe wird über Deutschlands Mitverantwortung für Tötungen durch US-Drohnen verhandelt - das könnte die Nato in Bedrängnis bringen. Der Gastbeitrag.
Gezielte Tötungen mittels Drohnen sind menschenrechtlich hoch umstritten und eröffnen angesichts ihrer schwierigen Überprüfbarkeit eine rechtliche Grauzone zwischen völkerrechtlich erlaubter Tötung im Krieg und menschenrechtswidriger Hinrichtung. Erst im Januar 2020 hatte die Tötung des iranischen Generals Soleimani durch einen US-Drohnenangriff im Nahen Osten beinahe zu einem Flächenbrand geführt.
Vor dem Bundesverfassungsgericht wird es um die Frage gehen, ob Deutschland die Zivilbevölkerung im Ausland besser vor völkerrechtswidrigen Drohnenangriffen schützen muss, die vom US-Luftwaffenstützpunkt in Ramstein gesteuert werden. Zwei Jemeniten, die 2012 bei einem über Ramstein koordinierten Angriff Angehörige verloren, hatten bereits 2014 gegen die Bundesregierung geklagt.
Kern des Verfahrens ist dabei nicht die Frage, ob die Drohnentötungen der USA gegen Völkerrecht verstoßen, sondern ob Deutschland verpflichtet ist, die völkerrechtliche Legalität der von hier aus koordinierten Operationen sicherzustellen. Denn viele der Angriffe, die immer wieder zivile Opfer fordern, wären ohne deutsche Mithilfe gar nicht möglich.
Je nach Einsatzgebiet werden Kampfdrohnen wie die MQ-9 Reaper, die auch Soleimani tötete, über den US-Luftwaffenstützpunkt in Ramstein koordiniert. Die Bundesregierung hatte sich hierbei jahrelang auf die Selbstauskunft der USA verlassen, wonach das Völkerrecht eingehalten werde. Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Münster konnte diese Argumentation nicht überzeugen und es wurde den Klägern in zentralen Punkten recht gegeben: „Das Gericht hat wichtige Anhaltspunkte dafür gesehen, dass die USA bei ihren Drohnenangriffen das Völkerrecht zumindest teilweise nicht einhalten.“ Eine solche Deutlichkeit kommt vor deutschen Gerichten nicht oft vor. Gleichzeitig stellte das Gericht den Menschen damit richtigerweise in den Mittelpunkt des Grundrechtsschutzes. Denn das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ist – vor allem im Lichte niedrigschwelliger Kriegsführung durch Drohnenangriffe – verwundbarer geworden.
Dieser Auffassung hatte sich das Bundesverwaltungsgericht im November 2020 entgegengestellt und argumentiert, die Bundesregierung müsse die von Ramstein aus gesteuerten Drohnenangriffe nicht stärker kontrollieren. Vielmehr genüge der auf diplomatischen Kanälen geführte Austausch mit den USA sowie deren Zusicherung, die Angriffe erfolgten im Einklang mit dem Völkerrecht.
Gegen dieses Urteil wurde nun Verfassungsbeschwerde eingereicht – durchaus mit Aussicht auf Erfolg. Schließlich hat sich in Ramstein die deutsche Staatsgewalt von der Beherrschung des Territoriums zurückgezogen und damit einen partiell grundrechtsfreien Raum geschaffen, der von den USA nicht völkerrechtskonform ausgefüllt wird. Dabei wird den US-Streitkräften jedoch nicht nur ein Stück Land überlassen, sondern durch die Relaisstation auch eine Einwirkungsmöglichkeit gegenüber anderen Staaten geboten, die gravierende Gefahrenbereiche eröffnet.
Die Bundesregierung hat als Verwaltungsspitze insoweit einen Schutzauftrag, wonach das Recht auf Leben möglichst umfassend zu realisieren ist. Anders kann sie ihre aus den Grundrechten resultierenden Schutzpflichten nicht erfüllen. Weil davon auszugehen ist, dass weiterhin Drohnentötungen über Ramstein gesteuert werden, muss die Regierung bislang unterlassene Schutzmaßnahmen ergreifen, die die Beachtung des humanitären Völkerrechts sicherstellen. Dazu gehört auch die Verankerung eines Sorgfaltsmechanismus, der in der Lage ist, auf erkennbare Völkerrechtsverletzungen der USA einzuwirken und die Bedingungen der Nutzung künftig genauer zu definieren. Die Bundesregierung muss ihre Vorstellung von völkerrechtskonformen Drohneneinsätzen klar äußern, wenn sie nicht in einer Lage des semipermanenten Rechtsbruchs gefangen bleiben will.
Die deutsch-US-amerikanische Außenpolitik befindet sich in einer Phase der Neuorientierung. Insofern kommt das Gerichtsverfahren nicht zur Unzeit. Sollte das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung zu Schutzmaßnahmen verpflichten, müsste die Bundesregierung der neuen US-Regierung erklären, dass eine regelbasierte Weltordnung nicht vom Recht des Stärkeren, sondern von der Stärke des Rechts geprägt ist.
Dabei müsste Deutschland nicht einmal das Gesicht verlieren. Im Gegenteil: Ein Urteil aus Karlsruhe könnte der (neuen) Bundesregierung sogar den Rücken stärken. Anstatt den Bündnispartner mit der Benennung von Rechtsverstößen zu brüskieren, könnte sich die Bundesregierung auf die Unabhängigkeit der Justiz und die Verbindlichkeit höchstrichterlicher Entscheidungen berufen – ohne dabei Nato-Bündnispflichten zu gefährden. Zugleich könnte so das Recht als unabhängiger Faktor in der internationalen Politik gestärkt werden. Dazu müsste allerdings die Architektur der deutsch-US-amerikanischen Beziehungen neu aufgestellt werden. Es bleibt zu hoffen, dass das Karlsruher Verfahren hierzu Maßstäbe vorgibt.
Alexander Schwarz ist Völkerrechtler. Er lehrt und forscht an der Universität Leipzig.