Der Frust der Arbeitnehmer
Quelle: "Die Selbstgerechten", Seite 77 ff, von Dr. Sahra Wagenknecht
Man kann nicht sauber arbeiten
Allen Prognosen zum Siegeszug einer individualistischen Ethik werden von Befragungen widerlegt, die Soziologen in Unternehmen durchgeführt haben. Plastisch schildern die Autoren des Buches über die Peugeot-Arbeiter, wie der Zerfall des Zusammenhalts und der Solidarität im Betrieb, die Erosion der Gewerkschaften und den Niedergang ihrer Wohnviertel nicht nur als soziales Katastrophe, sondern geradezu als persönlich Demütigung empfinden. Aber auch, wie sehr es sie stört, dass sie ihre Arbeit nicht mehr mit der gewünschten Präzision erledigen können, weil für die neue Renditeorientierung im Unternehmen Tempo wichtiger geworden ist als Qualität.
Auch in deutschen Industriebetrieben monieren Mitarbeiter, dass durch die Beschleunigung von Entwicklungs- und Fertigungsprozessen früherer Qualitätskriterien, Detailtreue und Kontrolle auf der Strecke bleiben. Sie missbilligen Innovationen ohne echte Verbesserungen. Das alte Arbeitsethos der Industriearbeiter kollidiert hier mit dem Sharholder-Value-Regime großer Unternehmen, in denen heute vor allem Finanzkennzahlen den Rhythmus vorgeben.
Auch viele Servicebeschäftigte erleben solche Konflikte. So schildert eine Reinigungskraft ihr tägliches Dilemma: "Man kann nicht saubaer arbeiten, sowohl man möchte, und muss dies noch verantworten. ... wenn du Geld verdienen willst, musst du pfuschen. Anders geht's nicht. Eine Arbeit auszuführen, die nicht ordentlich erledigt werden kann, ist für sie Quelle permanenter Frustration. Und obwohl die Dienstleistungsbeschäftigten mit ihren Einkommen kaum über den Monat kommen, ist es auch für sie eine Frage des Stolzes, dass sie für sich selbst sorgen können und eben nicht vom Staat leben müssen. So kämpfen sie ständig um die Normalität eines bescheidenen guten Lebens, ohne sie jemals wirklich erreichen zu können.
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