16. Mai 2022   Aktuell

Chatkontrolle: Ein totalitärer Missbrauch von Technik

 

Quelle: Golem.de

Chatkontrolle gibt es nicht einmal in Russland oder China: Die anlass- und verdachtslose Durchleuchtung sämtlicher Kommunikation ist einer Demokratie unwürdig

Ein IMHO von veröffentlicht am 12. Mai 2022, 9:11 Uhr">In

hart, beispiellos und bahnbrechend", wie sie erklärte. Die Pläne sind ein harter und beispielloser Angriff auf wichtige Grundrechte und könnten die Bahn für eine Totalüberwachung sämtlicher Kommunikationsinhalte brechen. Eine solch anlass- und verdachtslose Überwachung der gesamten Bevölkerung kennt man eigentlich nur von autoritären und totalitären Regimes.

Um es gleich am Anfang zu sagen: Auch Kritiker dieser Maßnahmen befürworten einen entschiedenen Kampf gegen sexuellen Missbrauch von Kindern. Genauso wenig wollen Gegner der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung den Kampf gegen Terrorismus verhindern oder ein "Grundrecht auf das Ansehen von kinderpornografischem Material im Internet" ermöglichen, wie es der CDU-Politiker Patrick Sensburg einmal formulierte. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat aus gutem Grund bislang entschieden, dass bestimmte Grundrechte nicht dauerhaft für die gesamte Bevölkerung komplett aufgehoben werden dürften.

Schlimmer als die NSA

 

Die Chatkontrolle stellt sogar noch einen größeren Eingriff dar, da sie nicht nur Metadaten betrifft, sondern die Inhalte der Kommunikation. Übertragen auf die Terrorismusbekämpfung würde das bedeuten: Die Anbieter müssten die Kommunikation aller Bürger auf mögliche Absprachen für Anschläge durchleuchten und Verdachtsfälle den Behörden melden. Genau das versuchten die US-Geheimdienste nach dem 11. September 2001, bis Edward Snowden diese allumfassende Überwachung aufdeckte.

Für die EU-Kommission heiligt jedoch der Zweck alle Mittel. Dieser Zweck besteht darin, die Verbreitung von kinderpornografischem Material einzuschränken und das sogenannte Cybergrooming, das Anlocken von Kindern und Jugendlichen für sexuellen Missbrauch, zu unterbinden. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen Provider und Messengerdienste praktisch alle geteilten Inhalte wie Fotos, Videos und Texte auf solches Material untersuchen dürfen. Und auf Anordnung sogar müssen.

Eco und GFF warnen

Fast alles, was Nutzer künftig auf ihren Smartphones machen, würde dann von einer irgendwie gearteten Technik geprüft und im Verdachtsfall an den Anbieter ausgeleitet. Die Systeme sollen nicht nur bereits bekanntes Material erkennen, beispielsweise durch den Abgleich von Hashwerten, sondern auch neue Inhalte. Wie das vor allem bei Texten funktionieren soll, ist kaum nachvollziehbar.

Wichtige Grundrechte wie das Fernmeldegeheimnis oder die Integrität informationstechnischer Systeme würden mit einem Federstrich beseitigt. "Dann kann niemand sich mehr auf die Vertraulichkeit seiner Gespräche verlassen. Es gibt keine Hintertüren, die nur für das legitime Ziel des Kinderschutzes genutzt werden können", schreibt die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) in einer ersten Stellungnahme.

Ähnlich äußerte sich der IT-Branchenverband Eco. Die Pläne untergrüben "jede Form der vertraulichen und sicheren Kommunikation im Netz". Der Entwurf habe das Potential, "einen Freifahrtschein für staatliche Überwachung zu schaffen. Das ist ineffektiv und illegal".

Zudem ist das Missbrauchspotenzial einer solchen Technik enorm groß.

Wer des Kindesmissbrauchs verdächtigt wird, ist erledigt

 

Wer auch nur in den Verdacht gerät, kinderpornografisches Material zu besitzen und zu verbreiten, ist gesellschaftlich erledigt. Was passiert, wenn böswillige Akteure einem Politiker oder Prominenten solches Material per Whatsapp auf sein Handy schicken? Die Filter könnten sofort anschlagen und die betroffene Person käme in große Erklärungsnöte oder gleich in Teufels Küche. Ein solcher Angriff ist bislang nicht möglich, da die Geräte nicht permanent überwacht werden. Man müsste dazu nur die Handynummer des Opfers kennen.

Dauerhafte Onlinedurchsuchung

Es ist kein Zufall, dass der Entwurf den Anbietern "wirksame interne Verfahren" vorschreibt, um den Missbrauch der Technik zu verhindern oder diesen aufzudecken. Denn wer einmal einen solchen privilegierten Zugang zu dem Gerät seiner Nutzer hat, kann dort beliebig nach Inhalten suchen und diese ausleiten lassen.

Dass Strafverfolgungsbehörden oder Geheimdienste früher oder später davon Gebrauch machen würden, darf als sicher gelten. Personen, bei denen solches Material gefunden würde, wären zudem sehr leicht erpressbar. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie sich selbst das Material besorgt haben oder es ihnen untergeschoben wurde.

Für eine solche Onlinedurchsuchung, die nur in Einzelfällen möglich ist, setzt der Gesetzgeber mit Recht sehr hohe Hürden. Doch die EU-Kommission will dieses schwerwiegende Instrument nun im Grunde dauerhaft bei allen Nutzern aktivieren. Es braucht dazu nicht einmal einen Staatstrojaner, der unbekannte Sicherheitslücken ausnutzt. Ein wirklich beispielloser Vorgang.Warum nicht gleich auf Betriebssystemebene?

Im Grunde muss man der Kommission vorwerfen, dass ihr Vorschlag inkonsequent und auf halbem Wege steckengeblieben sei. Warum verpflichtet sie nicht gleich die Hersteller von Betriebssystemen wie Windows, Linux, Android oder iOS, die Endgeräte der Nutzer nach solchen Inhalten zu durchsuchen? Das wäre viel umfassender und würde die Detektionsrate vermutlich noch erhöhen.

Zumal Apple ohnehin schon einen solchen Fotoscan plante, diesen aber nach dem Aufschrei von Nutzern und Sicherheitsexperten nicht umsetzte. Apple lege mit dem angekündigten Fotoscan den Grundstein für globale Zensur, Überwachung und Verfolgung, warnten damals 90 Menschenrechtsorganisationen.

Kein Vergleich zu Spamfiltern

Der Vergleich mit Spamfiltern und Antivirensoftware, den Johansson bemühte, überzeugt dabei nicht. Es ist etwas gänzlich anderes, ob Nutzer freiwillig ihre Kommunikation von ungewolltem Werbemüll befreien wollen, oder ob sie ungewollt sämtliche Inhalte nach verdächtigem Material durchsuchen lassen müssen. Die Unzuverlässigkeit von Spamfiltern zeigt, wie leicht es zu falschen Verdächtigungen kommen könnte.

Zuletzt warnte das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) wegen des russischen Angriffskrieges sogar vor der Antivirensoftware von Kaspersky. Andererseits sollen nun sämtliche Provider und Messengerdienste dazu gezwungen werden, Schnüffelfunktionen zu installieren.

Ein solches Misstrauen gegenüber der eigenen Bevölkerung kennt man eigentlich nicht aus demokratischen Staaten.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Jens Zimmermann twitterte daher zu Recht: "Ohne Anlass, ohne Verdacht. Das gehört eher nach Russland als nach Europa." Es ist fast beschämend, dass dieser Vorschlag ausgerechnet während des laufenden Angriffs Russlands auf die Ukraine vorgestellt wurde. Während die Ukraine ihre Freiheit mit Waffen verteidigen muss, opfert die EU-Kommission die wichtige Grundrechte der Bürger auf dem Altar der Kriminalitätsbekämpfung.

 

 

 

 

 

 

 

 

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