09. Dezember 2022   Aktuell

Der Wirecard-Prozess beginnt: Dabei geht es um einen Geheimdienstskandal und das Schachbrett der Geopolitik

Vorwort und Nachwort (Fabio de Masi):

(...) Der Prozess gegen Markus Braun mag die Öffentlichkeit ruhigstellen. Der Wahlkampf ist vorbei. Einige meiner früheren Kolleginnen und Kollegen im Untersuchungsausschuss Wirecard haben Karriere gemacht, die CDU/CSU steckt selbst knietief im Wirecard-Skandal, während meine frühere Partei am Boden liegt.

Ich werde gegen das Schweigen über die Rolle von Politik und Nachrichtendiensten im Wirecard-Skandal sicher nicht ankommen. Aber ich werde zumindest in den Spiegel blicken und sagen können, dass ich die Demokratie und mein Land nicht verraten habe. (...) Fabio de Masi


 

Heute beginnt der Prozess gegen den früheren Wirecard-Chef Markus Braun. Dabei geht es auch um einen Geheimdienstskandal und das Schachbrett der Geopolitik.

Quelle: Berliner Zeitung

von Fabio de Masi

 

Wirecard-Prozess beginnt: Das perfekte Verbrechen

Ich habe als erster Politiker vor dem Wirecard-Skandal gewarnt. Seit 2017 befasste ich mich mit dem Zahlungsabwickler. Ich konfrontierte die Bundesregierung 2019 mit kritischen Anfragen zur Rolle der Finanzaufsicht (BaFin) bei Geldwäschevorwürfen gegen Wirecard und schickte auch Markus Braun im Frühjahr 2020 einen umfangreichen Fragenkatalog. Im Bundestag galt ich zuweilen als Nestbeschmutzer des vermeintlichen Tech-Wunders „Made in Germany!“

Der CDU-Wirtschaftsrat um Friedrich Merz ließ sich von Wirecard finanzieren

Es war schöner, mit dem „innovativen Start-up“ auf dem roten Teppich zu stehen. Vertreter der übrigen Fraktionen pflegten intensive Kontakte zu Wirecard. Der CDU-Wirtschaftsrat um Friedrich Merz ließ sich von dem Unternehmen finanzieren. Ich bekam hingegen in der Zeit meiner Recherchen wiederholt dubiose „Besuche“ und auch unmoralische Angebote von Personen aus der Finanzwelt und dem Umfeld von Sicherheitsbehörden, die mit Wirecard in Verbindung standen. Bis heute ist dies der Fall.

Im Juni 2020 wurde schließlich bekannt, dass Gewinne und Umsätze des Zahlungsdienstleisters aus Aschheim in erheblichem Umfang erfunden waren und 1,9 Milliarden Euro auf Treuhandkonten in Asien fehlten. Die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young hatten trotz erheblicher Alarmzeichen die Abschlüsse von Wirecard jahrelang testiert, obwohl sie die Rolle der Drittpartnerfirmen in Asien bei der Verschleierung der wirtschaftlichen Verhältnisse von Wirecard verstanden hatten und Wirecard immer wieder wichtige Belege nicht lieferte.

 

 

Etliche Kleinanleger verloren Lebensersparnisse, Banken wie die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) mussten millionenschwere Kredite abschreiben. Der Wirtschafts-Sherpa von Olaf Scholz, Jörg Kukies, drängte noch auf den Ruinen von Wirecard ein Bankenkonsortium rund um die Commerzbank und die KfW zu einer Rettung, obwohl die britische Financial Times bereits den Betrug entlarvt hatte.

2. Die Rolle der Staatsanwaltschaft

Der frühere Chief Operating Officer (COO) und Asien-Vorstand von Wirecard, Jan Marsalek, wie Braun ebenso Österreicher, tauchte indes unter. Sein Statthalter auf den Philippinen, Christopher Bauer, wurde unter wenig glaubwürdigen Umständen für tot erklärt.

Die Staatsanwaltschaft München, die nun auch den Prozess gegen Braun führt, ließ Marsalek am 19. Juni 2020 mit Unterstützung zweier ehemaliger österreichischer Agenten unbehelligt aus Deutschland spazieren, obwohl ihr bereits seit drei Tagen bekannt war, dass die 1,9 Milliarden Euro auf Treuhandkonten in Asien fehlten und zuvor sogar eine Razzia in Marsaleks Wohnung stattgefunden hatte.

Die Staatsanwaltschaft initiierte 2019 sogar bei der Finanzaufsicht (BaFin) ein Verbot von Leerverkäufen zugunsten Wirecards. Leerverkäufe sind Wetten auf das Fallen von Aktienkursen. Das Leerverkaufsverbot wurde auf Grundlage der Behauptung von Marsalek und eines Anwalts aus einer CSU-nahen Kanzlei initiiert, die Nachrichtenagentur Bloomberg würde Wirecard erpressen.

Dabei war Marsalek bereits 2015 Beschuldigter in einem Rechtshilfeersuchen der USA wegen der Zahlungsabwicklung für Online-Glücksspiel bzw. Geldwäsche. Die Staatsanwaltschaft München hatte damals deswegen sogar eine Razzia bei Wirecard durchgeführt.

Die Trump-Regierung übernahm 2016 in den USA die Regierungsgeschäfte. Es liegt nahe, dass eine Kooperation mit Sicherheitsbehörden entstand. Es gab im engen zeitlichen Zusammenhang mit den Ermittlungen Kontakte Marsaleks zu einem früheren CIA-Beamten. Die Ermittlungen wurden eingestellt, und Wirecard übernahm 2016 gar das Prepaid-Kartengeschäft der CitiGo. Die Karten ließen sich mit hohen Geldsummen aufladen. Dies war ein weiteres Einfallstor für Geldwäsche.

3. Das Versagen der Finanzaufsicht

Die BaFin erstattete sogar Strafanzeige gegen einen Journalisten der Financial Times, Dan McCrum, der 2019 eine Serie kritischer Artikel über Wirecard verfasste. Sie warf McCrum mit abenteuerlicher Beweisführung zu Unrecht Insidergeschäfte mit Leerverkäufern vor. Das Verfahren wurde über die Insolvenz von Wirecard hinaus weiter betrieben. Später musste die Spitze der BaFin ihren Hut nehmen.

Gleichzeitig handelten Mitarbeiter der BaFin und ein Finanzattaché an der deutschen Botschaft in Peking mit Wirecard-Aktien. Der frühere Chef der Wirtschaftsprüferaufsicht (Apas) kaufte gar Aktien nach Lektüre des KPMG-Berichts im Frühjahr 2020. Dieser bemängelte, dass Wirecard Umsätze im erheblichen Umfang nicht belegen konnte. Die Spekulanten im Staatsdienst glaubten offenbar, Wirecard hätte eine schussfeste Staatsgarantie.

Eine Geldwäscheaufsicht über die Wirecard AG fand nicht statt

Die Verantwortung für die Geldwäscheaufsicht über die Wirecard AG schoben sich die BaFin und der Regierungsbezirk Niederbayern mit Aufsichtstennis gegenseitig zu. Eine Geldwäscheaufsicht über die Wirecard AG fand letztlich nicht statt, weil die Finanzaufsicht jeweils behauptete, sie sei für Wirecard nicht zuständig. Wirecard sei ein Technologiekonzern wie Volkswagen und kein Anbieter von Zahlungsdiensten. Dabei hatte die BaFin, die über eine Armee von Juristen verfügt, Wirecard beim Leerverkaufsverbot noch selbst als Anbieter von Zahlungsdiensten bezeichnet.

Für die Wirecard Bank war hingegen nur die BaFin zuständig, doch sie unternahm auch hier nichts. Bei der Bank hatte etwa der Trump-nahe und vom FBI per Auslieferungsantrag gesuchte ukrainische Oligarch Dmytro Firtasch sein Konto. Firtasch soll wiederum auf dem Anwesen des ÖVP-Finanziers und ehemaligen Aufsichtsrates der Deutschen Bank, Alexander Schütz, in Österreich residieren, der ebenfalls über die Wirecard-Affäre stolperte.

4. Markus Braun und die Drittpartnerfirmen

Es ist das perfekte Verbrechen: Einer tot (Bauer), einer verschwunden (Marsalek), und Markus Braun spielt das Unschuldslamm. Dadurch hofft Braun unter Anrechnung seiner Untersuchungshaft nur wegen Marktmanipulation statt gewerbsmäßigen Bandenbetrugs verurteilt zu werden. Er könnte dann schon sehr bald seine erheblichen Vermögenswerte in Freiheit genießen, deren Verschleierung über Stiftungen ihm von Ermittlern nachgesagt wird. Doch Markus Braun war kein Opfer. Er winkte noch kurz vor der Insolvenz die letzte Liquidität im Unternehmen mit durch, schirmte seine Kommunikation systematisch ab und kontrollierte jedes Detail im Unternehmen.

Eine zentrale Rolle im Strafprozess gegen Markus Braun wird das Netz der Drittpartnerfirmen spielen: Wirecard wickelte unter anderem Kreditkartentransaktionen in Hochrisikomärkten ab (das sogenannte Acquiring & Issuing). Diese waren Visa und Mastercard zu riskant, weil es häufig zu Reklamationen kam oder Rechtsrisiken für Zahlungsabwickler drohten. Dazu gehörten bei der Zahlungsabwicklung für Pornografie zum Beispiel Inhalte aus dem Bereich des Kindesmissbrauchs.

Wirecard argumentierte, sie hätten durch ihre frühen Erfahrungen im Internet über die beste Technologie verfügt und hätten daher über Algorithmen Kreditausfallrisiken besser abgeschätzt als Wettbewerber. Deswegen seien sie profitabler und könnten in riskanten Geschäftsfeldern hohe Margen erzielen. Aber selbst unter der Annahme von sehr hohen Gewinnmargen pro Transaktion von zehn Prozent pro Überweisung hätten die Bruttoumsätze außergewöhnlich hoch sein müssen, um auf die von Wirecard behaupteten Gewinne zu kommen. Die Zahlen ergaben keinen Sinn.

Markus Braun, der sich in seinen Rollkragenpullovern als „Alpen-Steve Jobs“ inszenierte, wird nun versuchen, sich als „dümmster CEO Deutschlands“ und Opfer von Jan Marsalek zu verkaufen. Sein Strafverteidiger – Alfred Dierlamm – einer der besten in Deutschland, behauptet, dass es in den sogenannten Drittpartnerfirmen von Wirecard in Asien reale Geschäfte gab.

Die Umsätze seien somit nicht erfunden worden, um Bilanzen aufzublähen, Gewinne vorzutäuschen und so ein Schneeballsystem am Kapitalmarkt aufrechtzuerhalten. Das Geld sei vielmehr hinter dem Rücken von Braun durch Marsalek veruntreut worden. Die Firmen seien aufgesetzt worden, um Zahlungsabwicklung in Märkten zu ermöglichen, in denen Wirecard über keine eigene Lizenz verfügte.

Die Staatsanwaltschaft und der Insolvenzverwalter argumentieren hingegen, es hätte zwar womöglich echtes Geld, aber keine echten Geschäfte gegeben. Denn echte Geschäfte gibt es nur mit echten Kunden. Es habe jedoch keine einzige Beschwerde von Kunden nach der Insolvenz wegen nicht abgewickelter Zahlungen gegeben. Die von Brauns Strafverteidiger behaupteten echten Kunden waren laut Wirtschaftswoche Briefkastenfirmen ohne Internetauftritt oder ein Anbieter von IBAN-Konten, der die behaupteten Geschäftsbeziehungen bestritt.

Ich gehe hingegen von einer dritten Variante aus: Neben erfundenen Umsätzen gab es auch reale Überweisungen. Diese waren aber keine „realen Geschäfte“, sondern Geldwäsche. Diese Kunden sind teilweise „echt“, aber scheuen die Öffentlichkeit. Denkbar sind neben der Abwicklung krimineller Zahlungsflüsse auch Auslandsoperationen von Geheimdiensten. Und die Mafia oder der BND beschweren sich natürlich bei keiner Kundenhotline.

Banker interessierte sich für „Geld, Macht und junge Chicks“

Wirecard konnte durch die Verlagerung der schmutzigen Zahlungsflüsse auf Drittpartnerfirmen eigene Rechtsrisiken abwenden. Dabei hatte Wirecard über seine Statthalter, wie den einstigen Dubai-Manager von Al Alam, Oliver Bellenhaus, jederzeit die wirtschaftliche Kontrolle über diese Firmen.

Bellenhaus war 2011 gar Sachverständiger für Geldwäsche der CSU im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages. Expertise für Geldwäsche kann man Bellenhaus sicher nicht absprechen. Das war sein Beruf. Der ehemalige Banker Bellenhaus interessierte sich laut Handelsblatt für „Geld, Macht und junge Chicks“, zockte Ballerspiele auf Großleinwand und wusste alles über Prepaidkarten und Pornos. Er jagte im Sportwagen durch Dubai.

5. Marsalek und die Geheimdienste

Deutsche Sicherheitsbehörden mauern, und es drängt sich der Eindruck auf: Sie sind froh, wenn Marsalek weg ist. Der Mann umgab sich mit Geheimdiensten.

Parlamentarische Anfragen zu Gesprächsangeboten Marsaleks an deutsche Sicherheitsbehörden, die dem Bundesnachrichtendienst (BND) in Moskau unterbreitet wurden, werden aus Gründen des Staatswohls abgelehnt.

Die Behauptung, deutsche Sicherheitsbehörden hätten nicht gewusst, wer Jan Marsalek war, sind unwahr. Marsalek war bereits 2015 – vor der Amtszeit Donald Trumps – Gegenstand von Ermittlungen amerikanischer Behörden. Er turnte auf der Münchener Sicherheitskonferenz herum, die eine Sicherheitsüberprüfung erfordert, und traf dort auf Donald Trumps ehemaligen Botschafter und Geheimdienstdirektor Richard Grenell.

Der ehemalige deutsche Geheimdienstkoordinator, Klaus-Dieter Fritsche (CSU), arbeitete gar mit Zustimmung des deutschen Bundeskanzleramtes für Wirecard. Der frühere Wirecard-Manager Burkard Ley, der bis heute nicht strafrechtlich belangt wird, half Fritsche wiederum, einem französischen Investor den Einstieg bei der deutschen Waffenschmiede Heckler & Koch zu ermöglichen. Dies erforderte es, eine komplizierte Struktur aus Briefkastenfirmen aufzusetzen, da die Beteiligung unter Vorbehalt der Bundesregierung stand. Denn Heckler & Koch wurde der kritischen Infrastruktur zugerechnet. Die Bundesregierung winkte den Deal durch.

Fritsche wurde auch zur Reform des österreichischen Verfassungsschutzes (BVT) unter dem früheren Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) nach Wien entsandt. Dabei ging es um den sogenannten BVT-Skandal und den Einfluss Russlands in österreichischen Sicherheitsbehörden, der zu einer Aufkündigung des Informationsaustauschs der westlichen Inlandsgeheimdienste des „Berner Clubs“ mit Österreich führte.

Im BVT-Skandal sollen die zwei ehemaligen Agenten Martin Weiss und Egisto Ott eine Schlüsselrolle gespielt haben. Beide arbeiteten auch für Marsalek. Weiss hatte gar ein Büro in dessen Villa und half ihm bei der „Ausreise“. Auch der frühere deutsche Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer (CDU) taucht immer wieder im Umfeld des BVT-Skandals und von Marsalek auf. Alle drei tauschten sich auch über mich aus, wie einem Vernehmungsprotokoll aus Österreich zu entnehmen war, nachdem ich die Bundeskanzlerin dafür kritisiert hatte, dass sich die Bundesregierung nicht für die Aktivitäten österreichischer Spione auf deutschem Hoheitsgebiet interessiere. Ich hatte mich hiernach öffentlich nach dem Aufenthaltsort von Weiss erkundigt.

Das Ibiza-Video und das Konflikt in Österreich

Damals tobte ein Konflikt in Österreich. Die rechtsextreme FPÖ, Schwesterpartei der deutschen AfD, kontrollierte das Außen- und Innenministerium. Sie wollte das BVT umkrempeln und in Konkurrenz zum militärischen Heeresnachrichtenamt (HNA) einen eigenen Auslandsnachrichtendienst schaffen. Das Ibiza-Video und die kontrollierte Sprengung der ÖVP-FPÖ Koalition war womöglich Teil dieses Konfliktes.

Schmidbauer suchte wiederum Marsalek auf, nachdem dieser 2018, im Jahr des Skripal-Anschlags, mit geheim eingestuften Dokumenten sowie der Formel für den Kampfstoff Novitschok in London herumgewedelt haben soll, wovon die Financial Times zwar erfuhr, aber erst zwei Jahre später, nach dem Wirecard-Skandal, berichtete.

Mutmaßlich wollte Marsalek damit dokumentieren, wie leicht es sei, an diese Formel zu gelangen. Er wollte verdeutlichen, dass die Verantwortung für den Anschlag daher nicht zwingend Russland zuzurechnen sei. Welcher Manager eines deutschen Konzerns tut so etwas und zieht freiwillig die Aufmerksamkeit der britischen Sicherheitsbehörden auf sich, wenn er nicht von Behörden anderer Länder geschützt wird?

 

 

 

 

 

 

Marsalek nicht bekannt? Die deutschen Sicherheitsbehörden sind unglaubwürdig

Die Formel für den Kampfstoff soll von einem ranghohen österreichischen Beamten aus dem Außenministerium abgerufen und über einen der beiden früheren Agenten des BVT Marsalek erreicht haben. Obwohl Schmidbauer Marsalek zu diesem Vorfall aufsuchte und sich mit „Ehemaligen“ aus den deutschen Sicherheitsbehörden hierüber ausgetauscht haben will, wussten die deutschen Sicherheitsbehörden angeblich nicht, wer Marsalek war? Das ist nicht glaubwürdig.

Marsalek veranstaltete sogar hochrangige sicherheitspolitische Dialoge mit Frankreichs früherem Präsidenten Nicolas Sarkozy, dem früheren bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU), Österreichs früherem Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) und dem militärischen Berater der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Erich Vad.

Vad bot mir später persönlich eine Rolle im Beirat eines österreichischen Milliardärs an, der einst in Österreich wegen Geldwäsche angeklagt war, im Hintergrund die Strippen bei dem Immobilienkonzern Adler zieht und enge Kontakte mit Marsalek unterhielt. Auch gegen dieses Unternehmen wettete der britische Wirecard-Leerverkäufer Fraser Perring.

 

 

 

 

 

Bei dem Essen mit Sarkozy, Marsalek und Co., das kurz vor den Präsidentschaftswahlen in Frankreich 2017 stattfand, ging es um die Stabilisierung von Libyen unter Einbeziehung Russlands. Denn die Intervention Frankreichs und der Sturz Gaddafis hatten zum Aufstieg islamistischer Gruppen geführt, und Libyen war eine zentrale Fluchtroute. Libyen war daher der Dreh- und Angelpunkt geopolitischer Konflikte. Private Söldnerarmeen der Amerikaner (Blackwater) und der Russen (Wagner-Gruppe) waren dort aktiv, um Einfluss auf das nunmehr gespaltene Land zu nehmen.

Marsalek soll mit Unterstützung hochrangiger Beamter aus dem Innen- und Verteidigungsministerium Österreichs aus dem ÖVP- und FPÖ-Umfeld versucht haben, im Zusammenhang mit dem Migrationswahlkampf von Sebastian Kurz für die Zusammenarbeit mit den Söldnern der russischen Wagner-Gruppe bei der Flüchtlingsabwehr in Libyen zu werben. Dies behauptet nicht ein Verschwörungstheoretiker, sondern ein vormaliger ranghoher Beamter der UN, der Berater des früheren österreichischen Kanzlers Christian Kern war.

Ein Anruf am späten Abend: „Olaf sei sehr besorgt“

Die Liste der vermeintlichen Zufälle lässt sich fortsetzen: Ein österreichischer Vizekanzler der ÖVP und ein CDU-Politiker aus dem Umfeld des Oligarchen Firtasch lobbyierten bei der Regierung Österreichs und der Staatsregierung Bayerns für eine Refugee-Card, mit der Leistungen für Flüchtlinge nur noch digital abgewickelt werden sollten. Dies hätte etwa die Analyse von Bewegungsprofilen von Flüchtlingen ermöglicht. Wer sollte die Karte aufsetzen? Wirecard.

Der ehemalige Eigentümer der Cybersecurity-Firma, die von der Bundesregierung und zahlreichen Behörden genutzt wird und etwa E-Mails von Ministern verschlüsselt sowie mit der Absicherung des Kanzlerhandys warb, machte sein Geld mit einem Kreml-nahen russischen Oligarchen. Er pflegte ebenso Kontakte zu Marsalek und dem ehemaligen BVT-Agenten Martin Weiss, der Marsalek bei der Flucht half.

Der derzeitige Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt, zuständig für Nachrichtendienste, rief mich sogar spät abends an, nachdem ich Olaf Scholz (und später auch Angela Merkel) mit dieser Gefahr für die Cybersicherheit der Bundesregierung konfrontiert hatte. Er meinte, „Olaf sei sehr besorgt“ und fragte, über welche Belege ich verfügte. Er verschwieg mir jedoch, dass er sich selbst intensiv mit dem Mann ausgetauscht hatte, der „Olaf“ angeblich besorgte!

6. Wer war Jan Marsalek?

Marsalek bewegte sich im Umfeld von Personen aus deutschen Sicherheitsbehörden, die eine strategische Autonomie von den USA und eine Kooperation mit Russland anstrebten. Diese Leute sahen die Regime-Change-Kriege des Westens in Nahen und Mittleren Osten (zu Recht) kritisch. Sie waren aber auch Kritiker der Flüchtlingspolitik Merkels und sahen Österreichs Sebastian Kurz als erfolgreiches Gegenmodell.

Auf der anderen Seite gab es Netzwerke im Umfeld der Münchner Sicherheitskonferenz, die trotz Waffenexportverboten der Bundesregierung nach der Ermordung des saudischen Oppositionellen Jamal Khashoggi Rüstungsdeals zwischen den Saudis und einer deutschen Firma mit Staatsbeteiligung einfädelten. Auch bei diesem Netzwerk schlug Marsalek auf, etwa, um bei Payment-Lösungen für eine Megacity in der Wüste von Saudi-Arabien einen Fuß in die Tür zu bekommen. Bis heute werden diese Payment-Projekte von ehemaligen Geschäftspartnern von Wirecard mit Unterstützung der Bundesregierung weiterverfolgt.

Marsalek war daher nach meiner Überzeugung ein Laufbursche unserer Sicherheitsbehörden. Es überrascht mich nicht, dass deutsche Behörden kein Interesse daran haben, dass Marsalek wieder auftaucht.

7. Geopolitik und die Spur des Geldes

Auch das Lobbying von Olaf Scholz und Angela Merkel für Wirecard in China war vermutlich kein Zufall. Das Lobbying erfolgte, obwohl im Kanzleramt die kritischen Berichte zu Wirecard längst bekannt waren und die Bundeskanzlerin sogar ein Meeting mit Markus Braun abgesagt hatte.

Offensichtlich bestand die Hoffnung, dass Wirecard ein trojanisches Pferd unserer Sicherheitsbehörden im Ausland wird. Was gäbe es Schöneres, als die schmutzigen Gelder, die über Wirecard flossen, zu kontrollieren und Geschäfte der Saudis oder Chinesen mitzubekommen? Längst tobt ein geopolitischer Cyberkrieg der Geheimdienste um die elektronische Spur des Geldes. Die USA klemmten etwa die Enthüllungsplattform Wikileaks vom Bankensystem ab.

Kooperationen wie mit Wirecard mögen in gewissem Umfang aus Gründen der inneren und äußeren Sicherheit erforderlich sein. Auch die Polizei lässt zuweilen den Drogendealer an der Ecke gewähren, um an die Ladung Kokain im Hafen zu gelangen. Ein Problem wird es jedoch dann, wenn der Staat beim Entladen des Kokains hilft. Wirecard stieg sogar unter den Augen des Staates in den DAX auf.

Bald könnten wir in einem anderen Land aufwachen

Viele der Personen und Netzwerke, die Marsalek für ihre Zwecke nutzen, sind zudem im Umfeld von Cyber-Hacking-Firmen engagiert, die zur Überwachung von Oppositionellen und Journalisten genutzt werden. So kam etwa die Spionagesoftware Pegasus bei der Ermordung Jamal Khashoggis durch den saudischen Blutprinzen zum Einsatz, der seit dem Krieg in der Ukraine wieder der beste Freund des Westens ist.

Marsalek investierte selbst in derartige Technologien. Dies gilt auch für Österreichs ehemaligen Kanzler Sebastian Kurz, der Geschäfte mit der israelischen NSO-Group und dem Trump-nahen Cybermilliardär Peter Thiel macht. Wenn diese Leute sowohl unsere Daten-, Kommunikations- und Finanzinfrastruktur sowie die Politik beherrschen, könnten wir bald in einem anderen Land aufwachen.

Der Prozess gegen Markus Braun mag die Öffentlichkeit ruhigstellen. Der Wahlkampf ist vorbei. Einige meiner früheren Kolleginnen und Kollegen im Untersuchungsausschuss Wirecard haben Karriere gemacht, die CDU/CSU steckt selbst knietief im Wirecard-Skandal, während meine frühere Partei am Boden liegt.

Ich werde gegen das Schweigen über die Rolle von Politik und Nachrichtendiensten im Wirecard-Skandal sicher nicht ankommen. Aber ich werde zumindest in den Spiegel blicken und sagen können, dass ich die Demokratie und mein Land nicht verraten habe.

 

 

 

 

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