04. Januar 2023   Aktuell

Vereinte Nationen weisen auf schwere Menschenrechtsverletzungen durch Spanien im Catalangate hin

In der Europäischen Union scheint die freie Meinung, das Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung generell keine große Relevanz zu haben. Referenden (Volksabstimmungen) sind bloße Papiertiger. Sie werden in den sogenannten Rechtsstaaten des Werte-Westens überraschend schnell zu Scheinreferenden und "Abtrünnige" dürfen bombariert werden. Waffen werden ad hoc geliefert. (Roswitha Engelke)

 
Prof. Dr. Axel Schönberger
Deutschland

Drei Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen wandten sich bereits am 24. Oktober 2022 in einem gemeinsamen Schreiben an den spanischen Ministerpräsidenten und erbaten Aufklärung und Abhilfe bezüglich der Menschenrechtsverletzungen in Spanien durch den Einsatz u. a. der Pegasus-Software im «Catalangate», dem wohl größten Abhörskandal seit Watergate.

Fernand de Varennes, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Minderheitenfragen, Irene Khan, Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für die Förderung und den Schutz des Rechts auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung, sowie Clement Nyaletsossi Voule, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, gaben dem spanischen Staat zunächst 60 Tage Zeit, auf ihre Anfrage zu antworten. Erst am 3. Januar 2023 wurde ihr in spanischer Sprache verfaßte Text veröffentlicht.

 

Bekanntlich hat Spanien vor allem katalanische Politiker, Abgeordnete, Rechtsanwälte, Ärzte, Informatiker, Abgeordnete des Europäischen Parlaments und Mitarbeiter des von Präsident Carles Puigdemont geführten Catalan Council nicht nur, aber vor allem mit der nur Staaten zur Verfügung stehenden Software Pegasus abgehört. Außerdem kam mindestens auch das Spionageprogramm Candiru in einigen Fällen zum Einsatz. Dagegen reichten etliche Betroffene aus Katalonien Beschwerde bei den Vereinten Nationen ein.

Die drei Sonderberichterstatter untersuchten die Vorfälle gründlich und brachten in dem erwähnten Schreiben an den spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez ihre tiefe Besorgnis über die Menschenrechtsverletzungen in Spanien zum Ausdruck.

Von den bisher bekannten 65 Personen, die zum Opfer dieser aus Sicht der Vereinten Nationen illegalen Überwachung wurden, wurden 63 Personen mit der Software Pegasus ausspioniert. 14 prominente Fälle werden in dem Text beispielhaft herausgestellt.

Ich zitiere in deutscher Übersetzung einige Passagen aus dem aufschlußreichen Dokument, das wie auch vorherige Stellungnahmen der Vereinten Nationen zu den politischen Gefangenen in Spanien nicht nur die Dinge klar benennt, sondern auch Handlungsanweisungen für Spanien beinhaltet:

«In diesem Zusammenhang möchten wir die Regierung Eurer Exzellenz dringend auf die Informationen aufmerksam machen, die wir über die Aktivitäten von Spionageaktivitäten durch den Einsatz der Spionagesoftware Pegasus und Candiru erhalten haben, wovon eine große Zahl katalanischer Persönlichkeiten und Aktivisten im Zeitraum 2017-2020 betroffen war. Zu den Opfern der komplexen und ausgeklügelten Bespitzelungsprogramme gehörten katalanische Führungspersönlichkeiten, Mitglieder des Europäischen Parlaments, Gesetzgeber, Juristen und Mitglieder von Organisationen der Zivilgesellschaft. Nach Angaben des Herstellers (der israelischen NSO Group) wird die Spionagesoftware Pegasus nur an Regierungen verkauft. Die meisten der unten gemeldeten Spyware-Angriffe fanden in Spanien statt.» (S. 1 des Schreibens vom 24. Oktober 2022).

«Wir sind sehr besorgt über ein angeblich umfangreiches und gut koordiniertes Bespitzelungsprogramm gegen Aktivisten und prominente Persönlichkeiten der katalanischen Minderheit, das einen Eingriff in ihr Recht auf freie Meinungsäußerung, den Austausch und die Verbreitung von Informationen und Ideen, das Recht, sich friedlich zu versammeln und an Vereinigungen teilzunehmen, das Recht auf Schutz der Privatsphäre und des Briefverkehrs sowie das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz und auf gleichen Schutz durch das Gesetz ohne Diskriminierung darstellt. Wir sind außerdem besorgt, daß der weit verbreitete Einsatz solcher Spionageprogramme zu einer verstärkten Selbstzensur führen kann, die sich abschreckend auf die Wahrnehmung des Rechts auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung in Katalonien im Allgemeinen auswirkt.

Wir sind auch besonders besorgt darüber, daß die oben genannten Betroffenen alle Angehörige der katalanischen Minderheit sind und daß der Angriff auf sie offenbar mit ihren friedlichen Aktivitäten im Namen der katalanischen Minderheit zusammenhängt. Diese gezielte Ausrichtung scheint in das Recht von Minderheitengruppen einzugreifen, ihre Identität, Kultur und Ansichten frei zu behaupten und zu fördern. Darüber hinaus scheint dieses selektive Vorgehen ein Profiling einer Minderheit zu sein, was nach internationalen und regionalen Menschenrechtsstandards verboten ist.

Wir bringen außerdem unsere Besorgnis darüber zum Ausdruck, daß mindestens ein Anwalt, der Aktivisten der katalanischen Minderheit verteidigt, ebenfalls von dem Bespitzelungsprogramm betroffen war. Sollte sich eine solche Praxis bestätigen, wäre dies ein Angriff auf die Unabhängigkeit von Anwälten und Menschenrechtsverteidigern.

All dies erweckt den Eindruck, daß es ein einheitliches Muster und ein gut geplantes Programm gibt, um Aktivisten der katalanischen Minderheit und ihre Unterstützer hinsichtlich ihrer Ansichten, Meinungen und Aktivitäten ins Visier zu nehmen. Dieser Faktor verstärkt die Schwere der Anschuldigungen und unsere Bedenken.» (S. 5 des Schreibens vom 24. Oktober 2022).

«Es liegt in unserer Verantwortung, in Übereinstimmung mit den uns vom Menschenrechtsrat erteilten Mandaten zu versuchen, die uns zur Kenntnis gebrachten Anschuldigungen aufzuklären. In diesem Zusammenhang wären wir Ihnen für Ihre Mitarbeit und Kommentare zu den folgenden Punkten sehr dankbar:
 
1. Bitte geben Sie uns zusätzliche Informationen oder Kommentare zu den oben genannten Vorwürfen!

2. Bitte stellen Sie alle verfügbaren Informationen über offizielle Ermittlungen der spanischen Behörden zu den Vorwürfen der Spionageaktivitäten gegen die oben genannten Opfer zur Verfügung!

3. Bitte klären Sie die Beziehung oder Verbindungen zwischen den angeblichen Spionageaktivitäten und den spanischen Behörden!

4. Bitte klären Sie, wie die Pegasus-Spionagesoftware, die angeblich ausschließlich an Regierungen verkauft wurde, gegen spanische Bürgerinnen und Bürger, die Minderheiten oder anderen Gruppen angehören, eingesetzt werden konnte!

5.  Erläutern Sie, wie die mutmaßlichen Aktivitäten, sofern sie sich bestätigen, mit den Verpflichtungen der Regierung Eurer Exzellenz aus den oben genannten Bestimmungen vereinbar sind und wie Sie etwaige Unstimmigkeiten mit internationalen Menschenrechtsstandards beheben wollen!

6. Bitte geben Sie Auskunft darüber, was die Regierung Eurer Exzellenz unternimmt oder zu unternehmen gedenkt, um die Opfer zu entschädigen und eine Wiederholung der mutmaßlichen Spionageaktivitäten zu verhindern!

In Bezug auf die oben genannten angeblichen Fakten und Bedenken verweisen wir auf den Anhang zu den Verweisen auf internationale Menschenrechtsgesetze, der diesem Schreiben beigefügt ist und in dem die internationalen Menschenrechtsinstrumente und Menschenrechtsstandards aufgeführt sind, die für vorliegende Vorwürfe relevant sind.

Wir würden uns freuen, wenn wir innerhalb von 60 Tagen eine Antwort erhalten würden. Nach Ablauf dieser Frist werden diese Mitteilung und alle Antworten der Regierung Eurer Exzellenz über die Website für Kommunikationsberichte veröffentlicht. Sie werden auch in dem regelmäßigen Bericht, der dem Menschenrechtsrat vorgelegt wird, zur Verfügung gestellt.

In Erwartung Ihrer Antwort möchten wir die Regierung Eurer Exzellenz auffordern, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Rechte und Freiheiten der oben genannten Person(en) zu schützen und gegen alle für die mutmaßlichen Verstöße verantwortlichen Personen Untersuchungsverfahren einzuleiten, sie strafrechtlich zu verfolgen und angemessene Strafen zu verhängen. Wir fordern Sie außerdem auf, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, daß sich solche Vorfälle wiederholen, falls sie aufgetreten sind.

Wir werden unsere Bedenken in naher Zukunft öffentlich äußern können, da wir glauben, daß die Informationen, die wir erhalten haben, hinreichend verläßlich sind, um darauf hinzuweisen, daß es eine Angelegenheit gibt, die sofortige Aufmerksamkeit erfordert. Außerdem sind wir der Meinung, daß die Öffentlichkeit über die möglichen Folgen der oben genannten Vorwürfe informiert werden muß. In der Pressemitteilung wird darauf hingewiesen, daß wir mit der Regierung Eurer Exzellenz in Kontakt standen, um die relevanten Fragen zu klären.» (S. 5-7 des Schreibens vom 24. Oktober 2022; Fettdruck von A. Schö.).

Dem siebenseitigen Dokument ist ein fünfseitiger Anhang beigegeben, der das internationale Recht der Menschenrechte benennt und dessen Quellen anführt. Brisant für die Europäische Union, die sich bisher im Falle der größten Menschenrechtsverletzungen in Westeuropa seit dem Zweiten Weltkrieg durch intensives Wegschauen und komplizenhafte Untätigkeit ausgezeichnet hat, als ob ihre eigenen Standards und die Europäische Menschenrechtskonvention für Spanien keine Geltung hätten, sind die Schlußformulierungen des Anhangs des Textes, die in klarer Sprache zum Ausdruck bringen, was die Katalanen seit Jahren vorbringen, ohne in Europa bisher damit Gehör zu finden:

« Wir möchten Ihre Exzellenz auch auf das Rahmenübereinkommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten (Europaratsnummer 157) hinweisen, das seit dem 1. September 1995 für Spanien gilt. Das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten ist ein rechtsverbindlicher multilateraler Vertrag zum Schutz nationaler Minderheiten, der insbesondere darauf abzielt, die volle und tatsächliche Gleichstellung nationaler Minderheiten durch die Schaffung geeigneter Bedingungen zu fördern, die es ihnen ermöglichen, ihre Kultur zu bewahren und zu entwickeln und ihre Identität zu bewahren. Artikel 3 Absatz 1 des Übereinkommens sieht vor, daß jede Person, die einer nationalen Minderheit angehört, das Recht hat, frei zu wählen, ob sie als solche behandelt werden will oder nicht, und daß ihr aus dieser Wahl oder aus der Ausübung der ihr zustehenden Rechte kein Nachteil erwachsen darf. Nach Artikel 5 Absatz 1 des Übereinkommens verpflichten sich die Vertragsparteien, die Bedingungen zu fördern, die erforderlich sind, damit die Angehörigen nationaler Minderheiten ihre Kultur pflegen und weiterentwickeln und die wesentlichen Elemente ihrer Identität, zu denen auch ihre Sprache gehört, bewahren können. Artikel 7 des Übereinkommens sieht vor, daß die Vertragsparteien des Übereinkommens die Achtung des Rechts jeder Person, die einer nationalen Minderheit angehört, auf Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, freie Meinungsäußerung und Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit gewährleisten. Nach Artikel 17 Absatz 1 des Übereinkommens verpflichten sich die Vertragsparteien, das Recht von Angehörigen nationaler Minderheiten, freie und friedliche grenzüberschreitende Kontakte zu Personen, die sich rechtmäßig in anderen Staaten aufhalten, zu knüpfen und zu pflegen, nicht zu beeinträchtigen, insbesondere nicht zu Personen, die eine ethnische, kulturelle, sprachliche oder religiöse Identität oder ein gemeinsames kulturelles Erbe teilen.

Außerdem erinnern wir die Regierung Eurer Exzellenz an die Empfehlungen und bewährten Praktiken des Hohen Kommissars für nationale Minderheiten (HKNM) der OSZE in Bezug auf Minderheitenrechte. Insbesondere die OSZE/HCNM-Empfehlungen von 2006 zur Polizeiarbeit in multiethnischen Gesellschaften weisen in Absatz 16 deutlich darauf hin, daß Maßnahmen ergriffen werden sollten, um sicherzustellen, daß die Polizei das Gesetz unparteiisch und diskriminierungsfrei durchsetzt und keine bestimmte Gruppe ausgrenzt, indem sie zum Beispiel ein «Racial Profiling» vornimmt.» (S. 11-12 des Dokuments vom 24. Oktober 2022).

In einem funktionierenden demokratischen Rechtsstaat müßten alle Regierungsvertreter, die von einem solchen Abhörskandal und Angriff auf die Menschenrechte Kenntnis hatten, sofort zurücktreten, und es würden Ermittlungsverfahren der zuständigen Staatsanwaltschaft gegen alle für solche illegalen Praktiken Verantwortlichen (einschließlich der Richter, Staatsanwälte, Polizisten, Geheimdienstmitarbeiter und allen weiteren Personen, die an diesen Menschenrechtsverletzungen mitgewirkt haben) eingeleitet. Und was macht Spanien? Die spanische Regierung antwortet mit kaum zu überbietender Chuzpe, daß alle von Spanien durchgeführten Abhörmaßnahmen «in Übereinstimmung mit den Anforderungen des spanischen Rechtssystems» und «unter vollständiger Wahrung der Grundrechte und Grundfreiheiten» erfolgen würden! O tempora, o mores!

Fassungslos stehen die Bürgerinnen und Bürger Europas vor einem der größten Skandale unserer Zeit. Und was macht die Europäische Union? Europa schweigt und sieht zu!

https://www.eldiario.es/catalunya/onu-alerta-vulneraciones-derechos-humanos-caso-pegasus-e-insta-gobierno-investigar_1_9840505.html

https://www.elnacional.cat/ca/politica/onu-exigeix-espanya-explicacions-catalangate-troba-vulneracions-drets_945288_102.html

https://www.vilaweb.cat/noticies/tres-organismes-onu-demanen-explicacions-espanya-catalangate

 

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