28. Februar 2023   Aktuell

Der chinesische «Friedensplan» für die Ukraine im Wortlaut

Kommentar: Ulrich Engelke

Mit Sicherheit wird nicht bemerkt werden, dass die Chinesen mit ihren Vorschlägen nicht nur den Ukrainekrieg meinen, sondern allgemein auf das Verhältnis zwischen Ländern eingehen. Dieser allgemeine Bezug wird hier im Wertewesten vollkommen unter den Tisch fallen und nicht wahrgenommen werden.
Eines ist sicher. Der Wertewesten ist von den geäußerten hohen humanen Ansprüchen lichtjahreweit entfernt. Wirtschaftskriege und Sanktionen sind regelmäßig ein Mittel zur Durchsetzung von Macht- und/oder Profitinteressen. Da geht es eben oftmals unmenschlich zu, wenn ganze Länder praktisch ausgehungert und zerstört werden. Das beste Beispiel ist aktuell Syrien.
Statt zu sanktionieren könnte man ja auch Werte vorleben. Aber anscheinend geht der reale Werteverlust im Westen im umgekehrten Verhältnis zur eskalierenden Sanktionswut einher.


Der chinesische «Friedensplan» für die Ukraine im Wortlaut

Quelle: INFOsperber

Red. / 26.02.2023  Die meisten Medien kritisierten Chinas «Friedensplan» – vielleicht zu Recht. Aber sie informierten nicht, was überhaupt drinsteht.

upg. «Chinesischer ‹Friedensplan› mit zwölf Forderungen» war am 25. Februar der grosse Titel im Tages-Anzeiger und anderen Tamedia-Zeitungen. Wer den langen Artikel las, wurde nur über Bruchstücke einzelner Sätze der acht «Forderungen» informiert. Der Rest war ablehnende und durchs Band negative Kommentierung. Nicht einmal auf der Webseite verlinkte der Tages-Anzeiger auf den chinesischen Vorschlag mit den zwölf Punkten.

Deutsche Übersetzung mit Deeple:

  1. Respektierung der Souveränität aller Länder. Das allgemein anerkannte Völkerrecht, einschließlich der Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen, muss strikt eingehalten werden. Die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Unversehrtheit aller Länder muss wirksam gewahrt werden. Alle Länder, ob groß oder klein, stark oder schwach, reich oder arm, sind gleichberechtigte Mitglieder der internationalen Gemeinschaft. Alle Parteien sollten gemeinsam die grundlegenden Normen für die internationalen Beziehungen aufrechterhalten und für internationale Fairness und Gerechtigkeit eintreten. Die gleichmäßige und einheitliche Anwendung des Völkerrechts ist zu fördern, während doppelte Standards abgelehnt werden müssen. 
  2. Abkehr von der Mentalität des Kalten Krieges. Die Sicherheit eines Landes sollte nicht auf Kosten anderer Länder angestrebt werden. Die Sicherheit einer Region sollte nicht durch die Stärkung oder Ausweitung von Militärblöcken erreicht werden. Die legitimen Sicherheitsinteressen und -belange aller Länder müssen ernst genommen und angemessen berücksichtigt werden. Es gibt keine einfache Lösung für ein komplexes Problem. Alle Parteien sollten gemäß der Vision einer gemeinsamen, umfassenden, kooperativen und nachhaltigen Sicherheit und mit Blick auf den langfristigen Frieden und die Stabilität in der Welt dazu beitragen, eine ausgewogene, effektive und nachhaltige europäische Sicherheitsarchitektur zu schaffen. Alle Parteien sollten sich dem Streben nach eigener Sicherheit auf Kosten der Sicherheit anderer widersetzen, eine Blockkonfrontation verhindern und sich gemeinsam für Frieden und Stabilität auf dem eurasischen Kontinent einsetzen.
  3. Beendigung der Feindseligkeiten. Konflikte und Kriege sind für niemanden von Vorteil. Alle Parteien müssen rational bleiben und Zurückhaltung üben, es vermeiden, die Flammen zu schüren und die Spannungen zu verschärfen, und verhindern, dass sich die Krise weiter verschlechtert oder gar außer Kontrolle gerät. Alle Parteien sollten Russland und die Ukraine dabei unterstützen, in die gleiche Richtung zu arbeiten und den direkten Dialog so schnell wie möglich wieder aufzunehmen, um die Situation schrittweise zu deeskalieren und schließlich einen umfassenden Waffenstillstand zu erreichen. 
  4. Wiederaufnahme der Friedensgespräche. Dialog und Verhandlungen sind die einzige praktikable Lösung für die Ukraine-Krise. Alle Bemühungen, die zu einer friedlichen Beilegung der Krise beitragen, müssen gefördert und unterstützt werden. Die internationale Gemeinschaft sollte sich weiterhin für den richtigen Ansatz zur Förderung von Friedensgesprächen einsetzen, den Konfliktparteien dabei helfen, so bald wie möglich die Tür zu einer politischen Lösung zu öffnen, und Bedingungen und Plattformen für die Wiederaufnahme von Verhandlungen schaffen. China wird in dieser Hinsicht weiterhin eine konstruktive Rolle spielen. 
  5. Beilegung der humanitären Krise. Alle Maßnahmen, die dazu beitragen, die humanitäre Krise zu lindern, müssen gefördert und unterstützt werden. Humanitäre Maßnahmen sollten den Prinzipien der Neutralität und Unparteilichkeit folgen, und humanitäre Fragen sollten nicht politisiert werden. Die Sicherheit der Zivilbevölkerung muss wirksam geschützt werden, und es sollten humanitäre Korridore für die Evakuierung der Zivilbevölkerung aus den Konfliktgebieten eingerichtet werden. Es müssen Anstrengungen unternommen werden, um die humanitäre Hilfe in den betroffenen Gebieten zu verstärken, die humanitären Bedingungen zu verbessern und einen schnellen, sicheren und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe zu gewährleisten, um eine humanitäre Krise größeren Ausmaßes zu verhindern. Die Vereinten Nationen sollten bei der Koordinierung der humanitären Hilfe für die Konfliktgebiete unterstützt werden.
  6. Schutz von Zivilisten und Kriegsgefangenen (POWs). Die Konfliktparteien sollten sich strikt an das humanitäre Völkerrecht halten, Angriffe auf Zivilisten oder zivile Einrichtungen vermeiden, Frauen, Kinder und andere Opfer des Konflikts schützen und die Grundrechte der Kriegsgefangenen achten. China unterstützt den Austausch von Kriegsgefangenen zwischen Russland und der Ukraine und fordert alle Parteien auf, günstigere Bedingungen für diesen Zweck zu schaffen.
  7. Sicherheit von Kernkraftwerken. China lehnt bewaffnete Angriffe auf Kernkraftwerke oder andere friedliche kerntechnische Anlagen ab und fordert alle Parteien auf, das Völkerrecht, einschließlich des Übereinkommens über nukleare Sicherheit, einzuhalten und von Menschen verursachte nukleare Unfälle entschlossen zu vermeiden. China unterstützt die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) dabei, eine konstruktive Rolle bei der Förderung der Sicherheit friedlicher Nuklearanlagen zu spielen.
  8. Verringerung der strategischen Risiken. Atomwaffen dürfen nicht eingesetzt und Atomkriege dürfen nicht geführt werden. Die Androhung oder der Einsatz von Atomwaffen sollte abgelehnt werden. Die Weiterverbreitung von Kernwaffen muss verhindert und eine nukleare Krise vermieden werden. China lehnt die Erforschung, Entwicklung und den Einsatz von chemischen und biologischen Waffen durch jedes Land unter allen Umständen ab.
  9. Erleichterung der Getreideexporte. Alle Parteien müssen die von Russland, der Türkei, der Ukraine und den Vereinten Nationen unterzeichnete Schwarzmeer-Getreide-Initiative in ausgewogener Weise vollständig und wirksam umsetzen und die Vereinten Nationen dabei unterstützen, eine wichtige Rolle in dieser Hinsicht zu spielen. Die von China vorgeschlagene Kooperationsinitiative zur globalen Ernährungssicherheit bietet eine praktikable Lösung für die globale Nahrungsmittelkrise.
  10. Beendigung einseitiger Sanktionen. Einseitige Sanktionen und maximaler Druck können das Problem nicht lösen; sie schaffen nur neue Probleme. China lehnt einseitige, vom UN-Sicherheitsrat nicht genehmigte Sanktionen ab. Die betroffenen Länder sollten aufhören, einseitige Sanktionen und die «weitreichende Gerichtsbarkeit» gegen andere Länder zu missbrauchen, um ihren Teil zur Deeskalation der Ukraine-Krise beizutragen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Entwicklungsländer ihre Wirtschaft ausbauen und die Lebensbedingungen ihrer Bevölkerung verbessern können.
  11. Aufrechterhaltung der Industrie- und Lieferketten. Alle Parteien sollten sich ernsthaft für den Erhalt des bestehenden Weltwirtschaftssystems einsetzen und sich dagegen wehren, die Weltwirtschaft als Werkzeug oder Waffe für politische Zwecke zu benutzen. Es bedarf gemeinsamer Anstrengungen, um die Auswirkungen der Krise abzumildern und zu verhindern, dass sie die internationale Zusammenarbeit in den Bereichen Energie, Finanzen, Lebensmittelhandel und Verkehr stört und die weltweite wirtschaftliche Erholung untergräbt.
  12. Förderung des Wiederaufbaus nach Konflikten. Die internationale Gemeinschaft muss Maßnahmen ergreifen, um den Wiederaufbau nach Konflikten in Konfliktgebieten zu unterstützen. China ist bereit, dabei Hilfe zu leisten und eine konstruktive Rolle zu spielen.

 

Noch kürzer wurde die Leserschaft der NZZ abgespiesen. Im Titel hiess es zwar «Das chinesische Aussenministerium legt einen Zwölf-Punkte-Plan zur Beilegung des Kriegs in der Ukraine vor». Doch die NZZ enthielt der Leserschaft die zwölf Punkte vor, denn «das Papier enthält nichts Konkretes, was über die von Peking geäusserten Statements hinausgeht».

Einen Tag später, am heutigen Sonntag 26. Februar (online am Abend des 25.2.), informierte die NZZ am Sonntag ebenfalls nicht über den Inhalt des chinesischen Vorschlags für einen Waffenstillstand, sondern setzte aus einem unerfindlichen Grund voraus, dass die Leserinnen und Leser das Wesentliche des Vorschlags kennen. Unter dem Titel «Xi Jinpings unterschätzter Plan» schrieb die Zeitung, China habe «möglicherweise […] doch einen raffinierteren Schachzug gemacht, als es auf den ersten Blick scheint». Es sei «keineswegs in Stein gemeisselt, dass Xis Vorstoss nicht auch irgendwann innerhalb Europas Erfolg erzielt».

Die Frankfurter Rundschau zitierte aus dem chinesischen «Friedensplan» wenigstens den ganzen Satz «Die territoriale Unversehrtheit oder Integrität aller Länder ist zu beachten» und stellte fest, dass China damit dem russischen Vorgehen in der Ukraine widerspreche.

Der chinesische «Friedensplan» mag zu allgemein formuliert und zu einseitig sein. Doch damit sich Leserinnen und Leser auch eine eigene Meinung bilden können, sollten sie vor dem Kommentieren darüber informiert werden, was denn überhaupt genau drinsteht. Infosperber holt dies nach.

 

 

 

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