01. Mai 2023   Aktuell

Pressekonferenz: Russischer Außenminister beantwortet Fragen zu den Ergebnissen des USA-Besuchs im Rahmen des Vorsitzes der Russischen Föderation im UN-Sicherheitsrat

Eine andere Meinung zu respektieren, ohne inakzeptabel zu reagieren, muß der Westen noch lernen. (Roswitha Engelke)


26 April 2023 03:47 Antworten des Außenministers der Russischen Föderation, Sergej Lawrow, auf einer Pressekonferenz zu den Ergebnissen des USA-Besuchs im Rahmen des Vorsitzes der Russischen Föderation im UN-Sicherheitsrat, New York, 25. April 2023  797-2

Quelle: Russische Botschaft

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Sie haben gesagt, dass Russland es den USA nicht verzeihen wird, dass russischen Journalisten, die Sie hätten begleiten sollen, US-Visa verweigert wurden. Was bedeutet das? Können Sie das bitte erklären?

Sergej Lawrow: Heute fand ein Auftritt unserer Vertreterin im Informationsausschuss statt. Maria Sacharowa äußerte sich dort ausführlich zu diesem Thema. Wir halten es für empörend, was da vor sich geht. Alle Zusicherungen über Pressefreiheit und Zugang zu Informationen, die von westlichen Anführern, darunter USA, gesagt wurden, in den Beschlüssen des Menschenrechtsrats und OSZE festgelegt sind, wurden bereits am Anfang der 1990er-Jahre angenommen. Damals ging die Sowjetunion noch offen auf solche Vereinbarungen ein. Jetzt, wenn es für den Westen unbequem wurde, wegen alternativer Positionen und Möglichkeiten der Einwohner der Welt und Staatsbürger entsprechender Länder den Zugang zu Fakten zu bekommen, die dem westlichen Narrativ widersprechen, attackiert er nun die Medien, die ihm nicht unterordnet sind.

Unsere Botschafter in verschiedenen Ländern, darunter in Washington, führen regelmäßig konkrete Angaben über Diskriminierung der russischen Medien an. Vor vielen Jahren verweigerte Frankreich die Akkreditierung im Elysee-Palast für RT und Sputnik, wobei sie als Propaganda-Instrument bezeichnet wurden. John Kirby sagte über unsere Journalisten, denen keine Visa zur Teilnahme an diesem Teil unseres Vorsitzes ausgestellt worden waren, dass russische Journalisten Propagandisten seien, die nichts Gemeinsames mit amerikanischer und demokratischer Vision der Meinungsfreiheit haben. Das erste Amendement zur US-Verfassung bedeutet also nichts in der Praxis. Man soll sehen, wie die Lage mit Meinungsfreiheit in den USA aussieht. Ich habe gehört, dass Tucker Carlson Fox News verlassen hat. Eine interessante Nachricht. Es bleibt zu rätseln, womit das verbunden ist. Die Breite der Positionen im US-Informationsraum wurde eindeutig beeinträchtigt.

Was unsere Gegenmaßnahmen betrifft, werden wir mit Sicherheit ein solch unfaires Verhalten der US-Führung berücksichtigen. Soweit ich verstehe, wurde der Beschluss im US-Außenministerium getroffen. Wir werden das berücksichtigen, wenn die Amerikaner etwas von uns brauchen werden.

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Was denken Sie über den Sudan und die dortige Lage? Was können Sie über die Verwicklung der privaten Militärfirma Wagner darin sagen? Wir befragten Hemeti, Anführer dieser Gruppierung, zu dieser Firma. Er dementierte nicht ihre Teilnahme. Wem ist „Wagner“ unterordnet – der Regierung Russlands oder einem anderen Organ?

Sergej Lawrow: Was Wagner betrifft, ist es eine private militärische Firma. Wir schnitten dieses Thema mehrmals an, darunter in diesem Raum, als unsere französischen Kollegen und EU-Chefdiplomat Josep Borrell Vorwürfe gegen uns wegen unserer Verbindungen mit Mali, Zentralafrikanischer Republik erhoben und ein Mini-Skandal machten. Unter Bedingungen, wenn Franzosen ihre Operation Barkhane abbauten und ihre militärischen Stützpunkte im Norden des Landes schlossen, wo es die größte Terrorgefahr gab, wandte sich die Regierung Malis, um nicht schutzlos zu bleiben, an Wagner. Das ist ihr Recht. Der Außenminister Malis sagte das auf der Sitzung der UN-Generalversammlung. Das ist kein Geheimnis. Zentralafrikanische Republik, Mali, Sudan und mehrere andere Länder, deren Regierungen, legitimen Behörden solche Dienstleistungen nutzen, das Recht darauf haben.

Wenn Sie über dieses Thema besorgt sind, sehen sie im Internet die Anzahl der privaten Militärfirmen in den USA, Großbritannien, Frankreich. Es sind Dutzende. Viele von ihnen waren seit vielen Jahren an unseren Grenzen tätig, darunter in der Ukraine. Das bringt auch zu gewissen Gedanken. Was die Situation im Sudan betrifft, das ist eine Tragödie. Menschen kommen ums Leben. Das ist eine bedeutende Bedrohung für Diplomaten. Wir wissen das und verfolgen die Situation. Heute haben bereits Vertreter des Kinderfonds der UNO unsere Botschaft gebeten, ihre Mitarbeiter aufzunehmen, denn sie sich in einem nicht sicheren Ort befinden. Ich weiß nicht, wie man das machen kann. Aber wir werden uns jetzt damit beschäftigen.

Erinnern sie sich daran, wie der sudanesische Staat sich entwickelte. Zunächst existierte er in Einzelform, dann in Form von Sudan und Südsudan. Das verlief alles vor unseren Augen. US-Kollegen machten die Aufteilung Sudans in zwei Teilen zu einen der wichtigsten außenpolitischen Aufgaben. Sie wandten sich an uns, damit wir den damaligen Präsidenten Omar al-Bashir dazu bewegen, Vereinbarungen über die Durchführung einer freien Willensäußerung und freiwilligen Aufteilung zu erreichen. Offen gesagt, traten wir dafür ein, dass die Völker Sudans selbst entscheiden. Im Ergebnis kam es zur Aufteilung des Landes in zwei Teile. Es bildete sich Südsudan. Die Amerikaner als Initiatoren dieser „Scheidung“ sollten wohl diesen zwei Staaten bei Existenz, Entwicklung der Wirtschaft, Gewährleistung des Wohlstandes der Staatsbürger helfen, aber ihnen gefiel etwas nicht. Ich werde nicht auf Details eingehen, aber die USA führten Sanktionen gegen die Führung Sudans und Südsudans ein. Dann begannen ständige Forderungen via IWF. Dieses geopolitische Engineering bringt nicht zu Gutem.

Ich würde empfehlen, eine große Schlussfolgerung aus der jetzigen Sudan-Krise zu ziehen. Wollen wir Afrikaner nicht dabei stören, untereinander Vereinbarungen zu erreichen, und nicht von außen Forderungen (die die Interessen dieser Länder nicht widerspiegeln) hinzufügen, eigene Probleme auf dem afrikanischen Wege zu lösen.

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Sagen Sie bitte über den ukrainischen Getreide-Deal. Hat Russland auf den Brief des UN-Generalsekretärs an Präsident Wladimir Putin in Bezug auf die Erweiterung und Verlängerung dieses Getreidedeals geantwortet? China ist ein großer Empfänger dieses Getreides. Hat es Russland gebeten, ihn zu verlängern?

Sergej Lawrow: Ich sage Ihnen sofort, dass wir dieses Thema mit unseren Partnern aus China nicht besprechen, darunter aus rein pragmatischen Gründen. Wir gehen davon aus, dass wir mit China eine gemeinsame Grenze haben, über die Export und Import funktioniert. Schwarzmeerraum ist nicht notwendig, damit China unser Getreide kauft. Das betrifft auch andere Länder, die an Russland grenzen, zum Beispiel Kasachstan.

 

Was den Brief betrifft, den UN-Generalsekretär Antonio Guterres gestern an Russlands Präsident Wladimir Putin übergeben hat, hoffe ich, dass er nicht „durchsickerte“. Denn es ist ein privater Briefwechsel zwischen UN-Leiter und Mitgliedsland der Organisation. Falls dieses Papier offengelegt wurde, ist es nicht sehr anständig. Das wird einen weiteren Versuch bedeuten, die Situation zu beeinflussen, die nicht geregelt wird und von unseren westlichen Kollegen in die Sackgasse gebracht wurde.

 

Ich möchte daran erinnern, dass bei der Unterzeichnung der Vereinbarung über „Schwarzmeer-Initiative“ am 22. Juni 2022 in ihrem Text direkt geschrieben war, dass sie die Ausfuhr von Getreide und Ammoniak betrifft. An Ammoniak erinnerte sich niemand bis vorgestern. Obwohl Antonio Guterres mir gestern gesagt hat, dass auf dem Weltmarkt ein akuter Mangel an Düngemittel zu erkennen ist, vor allem Ammoniak-Gruppe. Niemand dachte daran bis zum letzten Zeitpunkt.

 

So, wie schnell dieser Deal sich aus „Schwarzmeer-Initiative“ in eine „Schwarzmeer-Getreideinitiative“ und aus einer humanitären Initiative in ein kommerzielles Unternehmen verwandelte, löst ziemlich viele Fragen auf, über die wir in dieser Zeit sprechen und darauf aufmerksam machen. Sie haben Statistik gesehen – weniger als drei Prozent von ganzer Menge von Getreide, das aus ukrainischen Häfen kamen, gerieten in arme Länder, die auf einer entsprechenden Liste des Welternährungsprogramms stehen (Äthiopien, Jemen, Afghanistan, Sudan und Somalia). Alles Andere (mehr als 80 Prozent) ging an die Länder mit hohen Einnahmen bzw. Einnahmen über Durchschnitt. Wir haben das besprochen und darauf aufmerksam gemacht.

 

Es liegt der Versuch der ukrainischen Kollegen auf der Hand, im Rahmen der Tätigkeit des Gemeinsamen Koordinierungszentrums in Istanbul künstliche Anhäufung von Schiffen zu organisieren. Sogar in der ukrainischen Presse tauchten Informationen auf, dass das ukrainische Regime Bestechungsgeld nahm, um eine Reihe eines Schiffs früher abzustimmen.

 

Wir machten darauf aufmerksam, dass unsere Kollegen, vor allem in der UNO, die sich vollständig auf dem ukrainischen Teil des Deals konzentrieren, daran vergessen, dass Antonio Guterres ursprünglich ein fest gebundenes Paket vorgeschlagen hatte. Er sagte mir gestern, dass das Russland-UN-Memorandum nicht sehr konkret ist. Wir gingen darauf ein, weil es Verpflichtungen des Generalsekretärs und seiner Mitarbeiter enthält, alles zu machen, um Hindernisse auf dem Wege der Exporte der russischen Düngemittel und Getreide zu beseitigen.

 

Ich kann nicht sagen, dass UNO keine Anstrengungen unternimmt. Im Gegenteil. Antonio Guterres und UNCTAD-Generalsekretär sowie der stellvertretende Generalsekretär für humanitäre Fragen treten dafür ein, versuchen, mit den Ländern sich zu einigen, die rechtswidrige einseitige Sanktionen gegen die Russische Föderation eingeführt haben. Aber es gibt fast kein Ergebnis. Rosselchosbank – die Hauptbank, die unsere Landwirtschaftsexporte bedient, wurde von SWIFT-System abgeschaltet. Niemand hat vor, sie dorthin zurückzubringen. Stattdessen werden einzelne Alternativen vorgeschlagen. UN-Generalsekretär wandte sich mit einer Bitte an drei US-Banken, SWIFT zu ersetzen und Rosselchosbank dabei zu helfen, Exportoperationen zu bedienen. Einige Monate sind vergangen, eine Bank willigte sich darin ein, eine Operation zu finanzieren. Aber wenn uns gesagt wird, dass man auf diesem Prinzip die ganze weitere Arbeit aufbauen soll,  ist es nicht ernsthaft. Wenn sie wollen, Probleme des Lebensmittelmangels auf Weltmärkten systematisch zu lösen, dann soll man einfach unsere Bank in SWIFT-System zurückholen. Wenn sie wollen, dass wir und UN-Generalsekretär jedes Mal herumlaufen und ein US-Finanzgremium darum bitten, dass sie Großzügigkeit zeigen, kann das so nicht funktionieren.

 

Es bleiben Probleme mit Versicherung bestehen. Generalsekretär sagte mir zwar gestern, dass die Zinssätze nach seinen Kontakten mit Lloyd’s of London deutlich sanken. Das zielt darauf ab, die Kontrolle beizubehalten und unserem Getreide und Düngemittel nicht zu ermöglichen, auf die Märkte auf Grundlage der Marktmechanismen frei zu gelangen. Das alles erschwert die Arbeit des Welternährungsprogramms, das ärmsten Ländern hilft.

 

Neben davon, worüber wir sprechen, wurden bei uns fast 200.000 Tonnen in EU-Häfen beschlagnahmt. Im August 2022 erläuterte Russlands Präsident Wladimir Putin öffentlich unsere Position, laut der Unternehmen (Besitzer dieser Düngemittel) sie den ärmsten Ländern via Welternährungsprogramm ohne Entgelt übergeben. Das war im August des vergangenen Jahres. Die erste Partie in Höhe von 20.000 Tonnen (von insgesamt 200.000 Tonnen) wurde nach Malawi erst nachsechs Monaten geschickt. Jetzt werden mit Mühe noch zwei Verladungen mit jeweils 24.000 Tonnen nach Kenia und Nigeria besprochen. Das alles nimmt Zeit und ist mit bürokratischen Hindernissen und zusätzlichen Ausgaben verbunden.

 

Was unseren Teil des Getreidedeals betrifft, sehen wir Bemühungen des UN-Generalsekretärs Antonio Guterres und seiner Kollegen, aber es gibt fast keine Ergebnisse. Wenn man nur als Ergebnis die Hoffnung bezeichnet, dass man statt einer normalen Lieferung der notwendigen Produkte auf die Weltmärkte im manuellen Format jedes Mal amerikanische und europäische Häfen, Versicherungsfirmen und andere Organisationen darum bitten muss, dass sie wohlgesinnt sind. Wir haben am 22. Juli 2022 nicht das vereinbart, als die Initiative des UN-Generalsekretärs unterstützt wurde, die wie er selbst betont, einen Paket-Charakter hat. Das Paket besteht nicht aus nur einem Teil.

 

Deswegen kann ich im Unterschied von Ihnen nicht so eindeutig wie Sie das einstufen, was in der Botschaft des UN-Generalsekretärs Antonio Guterres an Russlands Präsident Wladimir Putin enthalten ist. Das ist eine Botschaft nicht an die breite Öffentlichkeit, sondern an unseren Präsidenten. Sowie ich verstehe, wurden solche Botschaften an die Ukraine und die Türkei geschickt. Eine Reaktion auf diese Botschaft wird es geben, nachdem der Adressat sie gelesen hat. So geht man in anständigen Häusern vor.

 

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Ihnen gefällt dieser Deal wohl nicht. Verbinden Sie keine großen Hoffnungen damit?

 

Sergej Lawrow: Kein Kommentar.

 

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Am 25. April 2023 sagte US-Präsident Joe Biden, dass er für die zweite Amtszeit kandidieren wird. Laut Kommentaren der Republikaner (zum Beispiel Donald Trumps, der über das Kandidieren für die zweite Amtszeit sagte) befürchten sie es stark, dass es zum Dritten Weltkrieg kommen kann. Welchen US-Präsidenten würde Russland „bevorzugen“?

 

Sergej Lawrow: Im Unterschied von Journalisten, die nach ihrem Beruf die Situation öffentlich analysieren müssen, mischt sich die russische Regierung nicht in die Angelegenheiten anderer Staaten ein.

 

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Sie sagten über die Unzulässigkeit der Erweiterung der Nato im Jahr 2022 und am 24. April dieses Jahres. Wegen des Kriegs wurden Finnland und Schweden Mitglieder der Allianz. UN-Generalsekretär Jens Stoltenberg unterstützt die Mitgliedschaft der Ukraine. War es ein Fehler? Worin bestehen jetzt die Gründe des Krieges, wenn die Grenze der Nato an Russland doppelt so lang wurde?

 

Sergej Lawrow: Die Nato hatte nicht vor, halt zu machen. Wenn sie sich die Entwicklung der Ereignisse in den letzten Jahren ansehen, lief aktiv der Prozess der Fusion der EU und Nato in militärischen Angelegenheiten. Vor kurzem unterzeichneten sie eine Erklärung, laut der die EU de facto der Nato die Verantwortung für die Gewährleistung der Sicherheit aller ihrer Mitglieder übergab und die Bereitstellung des Territoriums der EU-Länder, die keine Mitglieder der Allianz sind, für Bedürfnisse der Allianz garantierte. Schweden und Finnland waren in erster Reihe dieses Zusammenwirkens, nahmen öfter an militärischen Übungen der Allianz, anderen Veranstaltungen teil, die militärische Programme der Nato und neutraler Staaten synchronisieren sollten.

 

Das ist so eine schöne Phrase, dass Russland die Erweiterung der Nato nicht zulassen wollte. Das waren nicht wir, die das so sehr wollten und das verhindern wollten, sondern das wurde uns mehrmals versprochen. Es wurde gelogen. Jetzt wissen das alle. Wie auch später über Minsker Abkommen u.v.m. gelogen wurde. Das wurde ungeniert zugegeben.

 

Eine These darüber, dass Russland versucht hatte, die Erweiterung der Nato zu verhindern und sie im Ergebnis beschleunigte, ist ein Blick aus Ihrer Perspektive. Wir haben eigene Perspektive. Die Einschätzungen, die unvoreingenommene Beobachter und Politologen in der Russischen Föderation und im Ausland machen, bestehen darin, dass die Nato Russland zerfallen lassen wollte und es im Ergebnis zusammengeschlossen hat. Wollen wir jetzt keine Schlussfolgerungen darüber machen, womit das alles endet. Wir haben unsere Ziele eindeutig erklärt und bestätigen sie, darunter machten das gestern im UN-Sicherheitsrat.

 

Was streben die Amerikaner an? Ich lese Materialien in der einheimischen Presse, Analysten, spreche mit alten Kameraden bzw. Politologen. Sie stellen sich mehr die Frage, was weiter sein wird. Wir haben unsere Ziele eindeutig und ehrlich dargelegt. Welches Ziel haben die USA, Nato und EU? Die Ukraine mit Waffen vollpumpen? Jetzt tauchte eine „lächerliche“ Theorie auf. Der Westen soll der Ukraine eine erfolgreiche Gegenoffensive gewährleisten und sie und Präsident Wladimir Selenski dann bitten, Verhandlungen aufzunehmen. Das ist eine sсhizophrenische Logik.

 

Wir wollen, dass aus der Ukraine keine Bedrohungen für unsere Sicherheit ausgehen. Sie häuften sich dort seit vielen Jahren, insbesondere nach dem Staatsstreich im Februar 2014. Wir wollen auch, dass Menschen, die sich mit der russischen Sprache, Kultur, Religion, die sie via Ukrainisch-orthodoxe Kirche vertreten, verbunden fühlen, nicht diskriminiert, verfolgt werden.

 

Wladimir Selenski hat einen Vertreter – Michail Podoljak, Berater des Präsidialbüros des Präsidenten der Ukraine. Er sagte, dass die Ukraine für westliche Werte und Demokratie kämpfe. Bestehen darin „Demokratie“ und „Werte“, um die die Nato „bis zum letzten Ukrainer“ kämpfen will?

 

Wir machten seit vielen Jahren alle darauf aufmerksam, was mit nationalen Minderheiten, vor allem Russen, in der Ukraine vor sich geht. Es wurden Gesetze über das Verbot der Ausbildung in anderen Sprachen außer Ukrainisch angenommen, obwohl für die Sprachen der EU eine Ausnahme gemacht wurde, was die Ausrichtung dieser Kampagne gegen die russische Kultur erneut hervorgehoben hat. Es wurden Medien verboten – sowohl jene, die für die Ukraine aus Russland ausstrahlten, als auch jene, die den Ukrainern gehörten, aber in der russischen Sprache ausstrahlten und oppositionelle Ansichten widerspiegelten. Millionen Bücher wurden aus Bibliotheken ausgeworfen. Ein Teil von ihnen wurde auf Plätzen verbrannt, wie das die Nazis machten. Es wurden fast alle kulturellen Kontakte zwischen unseren Ländern verboten.

 

Sehen sie die aktuelle Entwicklung mit der Ukrainisch-orthodoxen Kirche. Wir wandten uns an UN-Generalsekretär Antonio Guterres, OSZE-Führung, andere Instanzen. Die Reaktion ist nicht stark.

 

Ungefähr solche Reaktion gab es auch, als sich der Staatsstreich im Februar 2014 ereignete. Wir stellten Fragen an Franzosen, Deutsche, Polen – sie haben einen Tag vor diesem Staatsstreich die Regelung garantiert, unter der ihre Unterschriften als Garanten stehen. Uns wurde gesagt, dass es bei demokratischen Prozessen zu „Vorfällen“ kommen kann. Das war’s. Ebenso wurden später alle Handlungen des Kiewer Regimes rechtfertigt. Dabei bestätigte der Westen feierlich, dass er es mit Waffen vollpumpen werde, um Russland auf dem Kampffeld zu besiegen, weil das Kiewer Regime die westlichen Werte und Ideale der Demokratie verteidige. Wenn der Westen dafür kämpft, dann soll es zumal verständlich sein, wozu wir eintreten und gegen was wir bis zum Ende eintreten werden.

 

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Sagen sie bitte ausführlicher über mögliche Kontakte, die Sie mit Vertretern der USA über das Schicksal der US-Staatsbürger in russischen Gefängnissen hatten. Gab es irgendwelche Kontakte bzw. Versuche?

 

In Vergangenheit gab es bereits Austausche der Häftlinge. Womit rechnen Sie beim Austausch gegen Paul Whelan und Evan Gershkovich?

 

Sergej Lawrow: Laut der Vereinbarung des US-Präsidenten Joe Biden und Präsidenten Russlands Wladimir Putin, die bei ihrem Treffen im Juni 2021 in Genf erreicht wurde, wurde ein spezieller Kanal zur Besprechung der Fragen der festgenommenen Staatsbürger Russlands in den USA und US-Staatsbürger in der Russischen Föderation gebildet. Ich würde kein großes Geheimnis lüften, wenn ich ihnen sage, dass dieser Kanal die Einbeziehung der Journalisten und öffentliche Beleuchtung der Situationen, um die laufenden ernsthaften professionellen Verhandlungen unter Druck zu setzen, nicht vorsah.

 

In Russland büßen einige US-Staatsbürger eine Haftstrafe für verschiedene Verbrechen, darunter die von Ihnen erwähnten Personen (Paul Whelan und Evan Gershkovich) ab. Sie wurden bei Begehen von Verbrechen festgenommen – Erhalt der Materialien, die ein Staatsgeheimnis darstellen. Wir akzeptieren nicht pathetische Erklärungen darüber, dass Journalist keine Verbrechen begehen kann. Es gibt viele Beispiele dafür. Wir machten darauf aufmerksam, dass als um Evan Gershkovich diese Kampagne ausbrach, erinnert sich niemand mehr an Julian Assange, unsere Staatsbürgerin, Journalistin Maria Butina, die im US-Gefängnis zwei Jahre verbrachte, nur weil sie an Nichtregierungsorganisationen teilnahm.

 

In US-Gefängnissen sitzen rund 60 russische Staatsbürger. In den meisten Fällen ist Anklage zweifelhaft. Bei „Entführung“ unserer Menschen aus Europa und anderen Ländern, womit sich Amerikaner befassen, erfüllten sie nicht die Anforderungen des bilateralen konsularischen Übereinkommens, laut dem falls sie Verdächtigungen in Bezug auf russische Staatsbürger haben, sie nicht entführen (wie in Hollywood-Filmen), sondern sich an die Russische Föderation wenden und ihre Besorgnisse zum Ausdruck bringen sollen.

 

Ich möchte wiederholen, dass es einen Kanal für die Besprechung dieser Dinge gibt. Solche Arbeit sieht keine Öffentlichkeit vor. In diesem Fall kann sie diesen Prozess aus verständlichen Gründen nur erschweren. Profis soll das nicht erklärt werden.

 

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Der Präsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan lud Russlands Präsidenten Wladimir Putin in die Türkei zur Teilnahme an der Zeremonie der Inbetriebnahme des Atomreaktors in der Türkei, der von russischen Unternehmen gebaut wurde, ein. Hat Russlands Präsident vor, die Türkei zu besuchen?

 

Sergej Lawrow: Ich gehe davon aus, dass die Präsidenten ein Verständnis davon haben, dass solches Treffen wichtig sein wird.

 

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Russland sagte mehrmals, dass die Ukraine ihre Verpflichtungen zum Getreidedeal nicht erfüllt. Hat Russland vor, aus diesem Deal auszusteigen, und gibt es Gründe, da zu bleiben?

 

Sergej Lawrow: Die Ukraine hat mit dem Teil des Deals, der russische Düngemittel und Getreide betrifft, nicht zu tun. Diese Teile des Deals werden durch westliche Sanktionen blockiert. Um diese Sanktionen und Hindernisse auf dem Wege des Exports von Düngemitteln und Getreide aus Russland auf die Weltmärkte zu überwinden, arbeitet gerade UN-Generalsekretär Antonio Guterres. In diesem Memorandum verpflichtete er sich dazu, alles Mögliche zu machen, um diese Ziele zu erreichen. Anscheinend wird „Unmögliches“ erforderlich sein. Bislang beobachten wir das nicht.

 

Was die Aussichten des Deals betrifft, habe ich Ihrer Kollegin gerade gesagt. Antonio Guterres übergab gestern tatsächlich eine Botschaft an Russlands Präsident Wladimir Putin. Sie wird übergeben werden. Über die Reaktion wird mitgeteilt.

 

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Tschechiens Präsident Petr Pavel sagte, dass Peking keinen Frieden in der Ukraine brauche und China Status quo passt. Wie ist die Position Russlands dazu?

 

Sergej Lawrow: Solche Erklärungen haben nichts Gemeinsames mit der Arbeit eines normalen politischen Vertreters.

 

Sie haben Tschechien erwähnt – ich erinnerte mich an die EU (sie existiert noch). Der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell sagte, dass sie Beziehungen zu anderen Ländern abhängig davon entwickeln werden, wie sie sich zu Russland und China verhalten. Das ist das Zeichen der Mentalität der jetzigen europäischen „Diplomatie“.

 

Frage (übersetzt aus dem Englischen): In Irland befinden sich 80.000 Flüchtlinge aus der Ukraine. Haben Sie sich vor ihnen entschuldigt, dass sie aus ihrem Haus fliehen mussten?

 

Wenn China ihr Freund ist, warum schickt es ihnen keine Waffen?

 

Sergej Lawrow: Niemand freut sich darüber, wie die aktuelle Situation das Leben einfacher Menschen beeinflusst. Aber ihr Leben soll im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit nicht nur im Falle sein, wenn sie sich im Ausland erweisen und Aufnahmeländern Unbequemlichkeit bringen. Das Leben einfacher Menschen soll im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Politiker sein, wenn diese Leben im Laufe von vielen Jahren gesetzlich und in der Praxis diskriminiert, bedroht werden.

 

Alle pfiffen darauf, als wir darauf aufmerksam machten, dass solche Gesetze nicht angenommen werden sollen. In der Verfassung der Ukraine steht geschrieben, dass alle Rechte der nationalen Minderheiten garantiert werden – politische, religiöse, sprachliche u.s.w. Als sie Gesetze annahmen, die diese Rechte gegenüber der russischen Sprache verbaten, wandten wir uns an die Venedig-Kommission (es gibt solches Organ, das sich mit Analyse der Gesetzgebung der Mitgliedsstaaten des Europarats in Bezug auf Übereinstimmung mit europäischen Übereinkommen befasst). Der Europarat hat via diese Kommission beschlossen, dass die Ukraine ein neues, einzelnes Gesetz über nationale Minderheiten verabschieden soll. Sie haben es im Dezember des vergangenen Jahres angenommen. Darin steht geschrieben, dass alle ohne Ausnahme Rechte der nationalen Minderheiten in dem Umfang garantiert werden, in dem das durch aktuelle Gesetzgebung vorgesehen ist. Also in dem Umfang, in dem sie fast völlig reduziert worden waren. Das ist Verhöhnung der Rechtsjustiz.

 

Zu den Flüchtlingen in Irland. Ich weiß nicht. Jetzt gibt es viele Informationen, darunter im westeuropäischen, osteuropäischen Informationsraum darüber, dass dort bei Weitem nicht alle „Bedürftige“ sind. Es kommt auch zu Skandalen, dass jemand etwas gestohlen, fremde Ehefrau wegführte u.s.w. Ich möchte niemanden kränken. Auf unserem Territorium tauchten deutlich früher Flüchtlinge wegen des vom Kiewer Regime gegen das eigene Volk im Osten entfachten Krieges auf, weil die Bevölkerung der Krim und der Ostukraine sich weigerte, den Staatsstreich zu akzeptieren und diesen „Kerlen“ sagten, dass sie in Ruhe gelassen werden sollen, und sie selbst ihre Fragen lösen wollen. Dafür wurden sie zu Terroristen erklärt und gegen sie wurde ein Krieg begonnen. Millionen Menschen flohen zu uns. Ich kann mich kaum daran erinnern, dass jemand in diesem Saal bzw. auf anderen meinen Pressekonferenzen unter Teilnahme westlicher Journalisten nach diesem Aspekt fragte. In den letzten ein bzw. anderthalb Jahren kommen zu uns Flüchtlinge aus den Gebieten, die unter Kontrolle des Kiewer Regimes bleiben.

 

Kommen Sie aus Irland? Sehr gut. Ich nutze ab und zu solches Argument: Wäre in Irland die englische Sprache verboten, wie hätten die Engländer darauf reagiert? Das ist undenkbar.

 

Und in der Ukraine kann die russische Sprache verboten werden. Man kann öffentlich sagen, dass sie nach Russland abhauen sollen, wenn sie sich als Teil der russischen Kultur bezeichnen. Das sagte Wladimir Selenski lange vor Beginn unserer militärischen Spezialoperation. Er wurde gefragt, was er über Menschen denkt, die auf der anderen Seite der Kontaktlinie wohnen. Es sagte, dass es Menschen und „Einzelwesen“ (species) gibt. Dieser „Anführer der globalen Demokratie“ sagte einst, dass wenn sich jemand in der Ukraine als Teil der russischen Kultur bezeichnet, sollte er für die Zukunft seiner Kinder und Enkelkinder nach Russland abhauen. Das wurde offen gesagt. Und als er gefragt wurde, was er über das neonazistische Regiment „Asow“ (das bereits 2013 sogar in Washington, in Kongress als Organisation eingestuft wurde, die keine US-Finanzierung bekommen soll, die mit nazistischen Fahnen, Symbolen der SS-Divisionen marschiert) denkt, sagte er, dass sie viele von ihnen haben, sie sind so, wie sie sind. Die Werte, die Wladimir Selenski für die westliche Welt im Krieg gegen Russland verteidigt, umfasst auch solche Dinge, die wir ehrlich gesagt schon lange her losgeworden haben. Aber Europa kehrte auf einmal zurück zu den Traditionen, die sie früher glorifiziert hatte.

 

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Die UNO hat viele Ziele. Sie ändern sich ständig. Das Hauptziel 1945 war, den Dritten Weltkrieg nicht zuzulassen. Im Laufe von 75 Jahren waren wir imstande, diese Aufgabe zu lösen. Ich hörte gestern Ihren Auftritt im Sicherheitsrat. Sie sind nicht mehr sicher, dass diese Organisation einen neuen Weltkrieg verhindern kann.

 

Warum sind Sie davon überzeugt? Welche Rolle kann der Generalsekretär spielen? Er könnte einen Friedensplan vorbereiten. Macht er das nicht, weil Sie ihn nicht behandeln werden oder weil er das nicht will?

 

Sergej Lawrow: Und wollen Sie ihn nicht selbst fragen?

 

Ich kann nur sagen, wer permanent über den Dritten Weltkrieg redet. Präsident Biden sagte einmal, dass wenn sie der Ukraine helfen würden, zu  siegen, dann würden sie den Dritten Weltkrieg verhindern. Analysieren Sie Aussagen Ihres Präsidenten oder nur meine Auftritte im UN-Sicherheitsrat?

 

Vor einiger Zeit sagte die damalige britische Ministerpräsidentin Liz Truss, sie würde ohne Zweifel den „roten Knopf“ drücken. Als der damalige Außenminister Frankreichs, Jean-Yves Le Drian, das hörte, sagte er, dass auch Frankreich Atomwaffen hat.  Dann sagte der Befehlshaber der deutschen Luftstreitkräfte, Putin sollte aufhören, anderen mit einem Atomkrieg zu drohen, weil man darauf gefasst sei. Das alles passierte, als wir über den Dritten Krieg noch kein Wort gesagt hatten.

 

Ich darf erinnern, dass wir noch während der Amtszeit Donald Trumps vorgeschlagen hatten, öffentlich und offiziell auf höchster Ebene die Erklärung von Gorbatschow und Reagan zu bestätigen, dass Russland und die USA (damals noch die Sowjetunion und die USA) zuversichtlich sind, dass es in einem Atomkrieg keinen Sieger geben könnte, und dass er nie entfesselt werden darf. Wir schlugen das noch während der Amtszeit Donald Trumps vor. Dashat nicht funktioniert. Die Amerikaner wollten eine solche Erklärung nicht besprechen, und wenn ja, dann nur unter gewissen Vorbehalten, die sie total entwerten würden. Unter Präsident Biden haben unsere Präsidenten eine solche Erklärung gemacht. Dann zeigten wir wieder Initiative, und eine ähnliche Erklärung über die Unzulässigkeit eines Atomkriegs wurde  auf höchster Ebene von allen fünf Atommächten vereinbart.

 

Wenn dieses Thema hervorgehoben wird, zeigt  man sofort  auf Russland und behauptet, wir würden die Welt zum Dritten Weltkrieg führen. Aber jeder redet darüber, was ihm wehtut – bei uns gibt es ein solches Sprichwort. Ich hoffe, dass diejenigen, die solche Dinge sagen wie „falls die Ukraine verliert, dann wäre ein dritter Weltkrieg nicht zu vermeiden“ (oder auch umgekehrt), vernünftig und verantwortungsvoll sein sollten.

 

Frage: Meine erste Frage ist damit verbunden, dass die israelische Delegation mit dem Ständigen Vertreter Jordan an der Spitze die heutige Sitzung des UN-Sicherheitsrats, die der Situation im Nahen Osten gewidmet war, verlassen hat. Wie schätzen Sie diesen Schritt ein? Gab es im Vorfeld der Sitzung Kontakte mit Israel, bei denen es klar geworden wäre, dass die israelische Delegation das Treffen verlassen würde?

 

Und die zweite Frage gilt der jüngsten Erklärung des britischen Vizeverteidigungsministers James Heappey, der gesagt hat, dass Großbritannien Kiew schon Tausende Challenger-Geschosse mit abgereichertem Uran bereitgestellt hätte. Wie sind Ihre Reaktionen auf solche Erklärungen?

 

Sergej Lawrow: Was die heute Sitzung angeht, so kann ich, ehrlich gesagt, die Details nicht kommentieren. Als wir den Vorsitz im Sicherheitsrat übernommen haben, wurden der Zeitplan der Sitzungen und deren Themen besprochen. Niemand sagte etwas dagegen, heute die Nahost-Probleme zu besprechen, auch das Palästina-Problem. Israels Vertreter stellte so pathetisch die rhetorische Frage, wie sich Russland dazu verhalten würde, wenn eine antirussische Sitzung für 9. Mai geplant worden wäre, für den Tag des Großen Sieges. Wissen Sie, ich habe zehn Jahre in der UNO gearbeitet. Da fanden Sitzungen auch am 9. Mai statt, und dabei wurden ganz verschiedene Fragen erörtert, und auch an Feiertagen anderer UN-Mitgliedsländer. So ist nun einmal diese Organisation. Wenn alle Feiertage aller Länder berücksichtigt werden sollten, dann würden nur sehr wenige Werktage bleiben, wie Sie verstehen.

 

Aber der israelische Vertreter sagte, er könne nicht an einem solchen Tag an einer „antiisraelischen Aktion“ teilnehmen. Diese Sitzung fand aufgrund eines Punktes der Tagesordnung des Sicherheitsrats statt, der auf der Tagesordnung seit Jahrzehnten steht.

 

Bei der Palästina-Frage geht es um den ältesten Konflikt, den niemand löst. Jetzt werden Versuche unternommen, von den in Resolutionen des UN-Sicherheitsrats verankerten Vereinbarungen abzuweichen und irgendwelche wirtschaftlichen Vorteile dafür zu versprechen, dass die Palästinenser auf die Gründung ihres eigenen Staates verzichten. Darum geht es eben. Das war keine antiisraelische Veranstaltung, sondern eine Veranstaltung, die auf Umsetzung der ursprünglichen UN-Beschlüsse ausgerichtet war, deren Ziel ist, das Recht der Palästinenser auf Bildung ihres Staates umzusetzen, wobei gleichzeitig auch Israels Recht auf Sicherheit an seinen Grenzen und in der ganzen Region berücksichtigt werden sollte. Darum geht es eben, und nicht um eine Verurteilung Israels. Heute wurde ziemlich viel Kritik auch an Terroranschlägen gegen die Israelis geübt. Das ist allgemein bekannt.

 

Es wurde auch über abgereichertes Uran gesprochen. Egal wer was sagt, dieser Stoff wäre nicht radioaktiv und stünde nicht auf entsprechenden IAEO-Listen – es gibt keine Listen, aber Fakten und Interviews mit Personen, die in Ex-Jugoslawien wegen abgereicherten Urans sehr leiden mussten. Diese Interviews wurden in unserem Fernsehen, im Internet und in westlichen Sendern gezeigt. Diese Personen treten unter anderem  auch in Italien auf. Das sind Veteranen von Kriegshandlungen, die gegen das „Regime“ Slobodan Milosevics kämpften (wie sie damals sagten). Man sollte seine eigene Verantwortung einsehen. Für Großbritannien ist das möglicherweise nicht so wichtig, wo dieses abgereicherte Uran die Umgebung verseuchen (oder auch nicht) wird.

 

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Nach 24. Februar 2022 haben viele Länder Sanktionen gegen Russland verhängt. Sind die westlichen Sanktionen wirkungsvoll? Kann Russland diesem Druck widerstehen?

 

Sergej Lawrow: Ich weiß noch, dass noch Ex-Präsident Barack Obama 2015 gesagt hatte, Russlands Wirtschaft wäre „zerfetzt“ gewesen. Es gibt manche Kräfte, denen das gefallen würde, und das hängt nicht mit dieser oder jener Administration zusammen.

 

Wir haben schon längst den Schluss gezogen, dass wir nur mit uns selbst und mit Kräften rechnen können, mit denen wir verhandeln können.  Und auf denjenigen, die immer wieder andere anlügen und einseitig illegitime Vorteile genießen wollen, werden wir uns nicht mehr verlassen.

 

Manche westliche Unternehmen, die ihre Regierungen gezwungen haben, Russland zu verlassen, versuchen jetzt, zurückzukehren. Unsere Regierung hat diese Situation kommentiert. Wir sind nicht sicher, ob diese Frage unverzüglich gelöst werden muss. Diese frei werdenden Nischen können unsere Geschäftskreise ruhig einnehmen. Wir werden unsere Wirtschaft durch Erschließung der materiellen Vorteile entwickeln, die wir dank der Geschichte und dem lieben Gott haben, ohne irgendwelche virtuellen Dienste zu leisten und die künstliche Dominanz des Dollars samt der Abhängigkeit von diesem Dollar zu unterstützen.

 

Die USA haben selbst diesen Prozess der Befreiung vom Dollar gestartet. Jetzt analysieren amerikanische Politologen und Ökonome diesen Prozess mit großer Besorgnis – das ist Fakt. Wenn ich mich richtig erinnere, ist der Anteil des Dollars bei internationalen Verrechnungen im vergangenen Jahr von 55 auf 47 Prozent zurückgegangen. Acht Prozent binnen eines Jahres – das ist viel.

 

Der Übergang zu Verrechnungen in nationalen oder auch in digitalen Währungen unter Umgehung des Dollars, des Europas und des Yens  ist nicht mehr zu stoppen. Wie es mit dem internationalen Finanzsystem, insbesondere mit dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank geht, ist eine große Frage. Dieser Prozess ist schon in die Wege geleitet worden. Die Amerikaner haben bewiesen, dass sie  gelogen hatten, als sie jahrzehntelang (noch vor  der Abschaffung des „goldenen Standards“ durch Richard Nixon) behaupteten, der Dollar würde auch ohne die Golddeckung nicht nur ihnen, sondern „uns allen“ gehören. Und dass diese globale Währung das störungsfreie Funktionieren aller Mechanismen der Weltwirtschaft sichern würde.

 

Jetzt haben sie bewiesen, dass sie ganz leicht, quasi dank einem unsichtbaren Zauberstock all die Prinzipien aufgegeben haben, die sie als Grundlage der Weltwirtschaft vorangetrieben hatten: faire Konkurrenz, Unantastbarkeit des Privateigentums, Verzicht auf einseitige protektionistische Maßnahmen usw. All das, womit sie das Globalisierungsmodell begründet hatten, das quasi die ganze Welt  schon übernommen hat und ihre eigenen Pläne diesem Modell anpasste. Jetzt hat die Globalisierung keine Perspektiven in der Form, die sie bisher hatte Die Weltwirtschaft wird in einzelne Fragmente aufgeteilt – das ist jetzt Deglobalisierung und Regionalisierung.

 

Wir spüren diese Prozesse und beteiligen uns daran aktiv im Rahmen der SOZ, der EAWU, im Rahmen des Abkommens zwischen der EAWU und China und auch im Rahmen der BRICS-Gruppe. Der brasilianische Präsident Lula da Silva ist daran interessiert, bis zum nächsten Gipfel, der im Sommer stattfinden wird, Analysen vorzubereiten, was man tun könnte, um von Capricen derjenigen nicht abzuhängen, die immer noch über das internationale Devisen- und Finanzsystem verwalten.

 

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Sie haben viel über den Charakter des Getreide-Deals gesprochen, ob das vor allem ein humanitärer oder kommerzieller Deal ist. War Russland von Anfang an bereit, einen solchen Deal zu unterzeichnen?

 

Sie haben auch über die „neue Weltordnung“ gesprochen. Gestern wurden die Reaktionen der Mitgliedsländer erhalten, auch Brasiliens. Warum ist eine Multipolarität besser als die jetzige „Ordnung auf Basis von Regeln“, die der Westen vorantreibt? Wie können Sie ihre westlichen Kollegen von Ihrer Variante überzeugen?

 

Sergej Lawrow: Ich sage das nochmals: Dieser Deal hieß nicht „Getreide-Deal“, sondern die „Schwarzmeer-Initiative“. Im Wortlaut dieser Vereinbarung war verankert, dass sie eine Erweiterung der Möglichkeiten für Ausfuhr von Getreide und Düngemitteln betraf.

 

Ich kann dem UN-Generalsekretär António Guterres  nicht vorwerfen, dass er irgendeinen listigen Plan gehabt hätte, als er diesen Deal vorschlug. Ich bin überzeugt, dass er dabei aufrichtig war. Ich kenne António Guterres  gut und kann das behaupten.

 

Eine andere Sache ist, dass seine aufrichtigen Bemühungen um die Überzeugung der Länder, die die Sanktionen verhängt hatten, dass sie wenigstens für den Export von Agrarprodukten, von Getreide und Düngemitteln, machen sollten, erfolglos geblieben sind. Darüber habe ich heute ausführlich gesprochen.

 

Wie wir unsere westlichen Kollegen von der Notwendigkeit überzeugen könnten, eine multipolare Welt aufzubauen? Wir werden sie gar nicht überzeugen. Wir schildern unsere Positionen, genauso wie die Volksrepublik China, Brasilien und viele andere Länder. Wir schlagen vor, Geschäfte auf Basis der UN-Charta zu führen: Wir haben gleiche Rechte und müssen nach einer Interessenbalance suchen und gemeinsam alle internationalen Probleme lösen. Der beste Weg zur Überzeugung der westlichen Länder davon, dass die multipolare Welt sich schon jetzt etabliert, bestünde wohl darin, den historischen Prozess nicht zu behindern. Aber sie versuchen gerade, ihn zu behindern.

 

Die Sanktionen gegen Russland sind tatsächlich unerhört. Aber für uns ist das eine beschlossene Frage – wir haben alle Möglichkeiten dafür, von solchem Vorgehen unserer westlichen Kollegen nicht abzuhängen, die  bewiesen haben, dass Verhandlungen mit ihnen zwecklos sind. Ich habe gehört, dass sie jetzt verbieten wollen, Halbleiter an China zu verkaufen. Und gleichzeitig verlangen sie von Südkorea, dass es darauf verzichtet, die ausbleibenden Lieferungen von Halbleitern aus Europa und den USA durch ihre Lieferungen zu ersetzen. Es wird eine neue Runde des Kriegs für die Weltherrschaft vorbereitet, genauer gesagt, des Kriegs dafür, dass man versucht, seine Weltherrschaft aufrechtzuerhalten. Das könnte wohl den natürlichen Prozess der Etablierung der multipolaren Weltordnung bremsen, aber nur kurzfristig. Aus historischer Sicht klappt das nicht – davon bin ich überzeugt.

 

All diese Ansprüche darauf, was der EU-Beauftragte für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, gesagt hat – auf einen „Paradiesgarten“ (mit dem er den Westen meinte), der mitten im „Dschungel“ (und darüber, dass dies Rassismus und Nazismus ist, müssen wir gar nicht reden) liegt, widerspiegeln diese Philosophie, die für die ganze Menschheit (auch für die Träger dieser Philosophie  selbst) schädlich ist.

 

Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte nach seinem Peking-Besuch, dass Europa selbstständig sein sollte, dass Verbündetenbeziehungen mit den USA nicht unbedingt bedeuten sollten, dass Europa den USA gehorchen muss – und dabei hat er Taiwan erwähnt. Er sagte, dass dies kein europäisches Thema sei. Apropos wurde dabei gemeint, dass die Ukraine ein europäisches Thema ist. Damit hat er eingeräumt, dass Europa die Ukraine einen Stellvertreterkrieg  führen lässt. Aber gleich nach dieser Aussage Emmanuel Macrons trat Josep Borrell gestern mit der Initiative auf, dass die EU ihre Marinekräfte in die Formosastraße schicken sollte. Was hat das zu bedeuten? Das bedeutet, dass diejenigen, die Josep Borrells Logik in Europa unterstützt, inzwischen gar nicht mehr selbstständig sind und sich nur an den Interessen der USA richten. Oder haben sie sich noch nicht geeinigt, wie ihre einheitliche Position sein soll.

 

Die multipolare Welt etabliert sich – das ist ein objektiver Prozess. Wie sie am Ende sein wird, weiß ich nicht. Viele sagten (auch in der gestrigen Sitzung des UN-Sicherheitsrats), dass die G20 ein Muster für einen solchen Verwaltungsmechanismus werden könnte.

 

Ich denke, man sollte sich lieber auf die UN-Charta stützen und dabei verstehen, dass für eine bessere Widerspiegelung der neuen Tendenzen bzw. der neuen Realität eine Reform des UN-Sicherheitsrats nötig ist. Vielleicht wäre seine Zusammensetzung der G20-Mitgliedschaft ähnlich. Aber es sollte unbedingt die Situation beseitigt werden, in der die Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas mangelhaft vertreten sind.

 

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Die Taliban haben vor kurzem ihren Frauen verboten, in der UNO zu arbeiten. UN-Generalsekretär Guterres reist demnächst nach Doha, um sich mit einem Sonderbeauftragten für diese Frage zu treffen. Wie sollte der nächste Schritt der Weltgemeinschaft bezüglich Afghanistans sein?

 

Und was den Gemeinsamen allumfassenden Aktionsplan angeht, ist dieser Plan schon „tot“?

 

Sergej Lawrow: Ja, wir haben die Initiative des UN-Generalsekretärs zu einem Treffen der Sonderbeauftragten am 1. und  2. Mai in Doha zu organisieren, an dem sich auch viele westliche Länder beteiligen werden.

 

Im Laufe des ganzen Jahres 2022 – und auch in diesem Jahr – beschäftigten wir uns mit Afghanistan in solchen Formaten wie „Nachbarländer“. Vor kurzem fand in Usbekistan die vierte Ministerkonferenz der Nachbarländer Afghanistans statt. Und 2022 hatte ein solches Treffen in China stattgefunden. Parallel arbeitet  das Quartett Russland-China-Pakistan-Iran – und wir haben noch Indien eingeladen. Wir wollen, dass dieses Quintett als „Kern“ des Formats der Nachbarländer etabliert.

 

Wir halten auch das Moskauer Beratungsformat aufrecht, an dem sich einst auch die USA beteiligten. Dann zeigten sie sich plötzlich launisch, nachdem sie die aktuellen  Ereignisse in der Ukraine provoziert hatten, und haben dieses Format verlassen. Es gab auch die Troika Russland-China-USA, an die sich auch Pakistan angeschlossen hat. Dieses Format wurde dann auch vernachlässigt.

 

Um den Westen an der Regelung in Afghanistan in dieser oder jener Form teilnehmen zu lassen, beruft der UN-Generalsekretär eine Konferenz ein, an der wir teilnehmen werden. Wir denken, dass der Westen der Diskussion nicht ausweichen sollte. Sie blieben 20 Jahre lang in Afghanistan und haben in dieser Zeit nichts getan, um die wirtschaftlichen Möglichkeiten dieses Landes zu festigen. Dort hat  die Drogenproduktion „explodiert“, die immer noch rekordmäßig hoch ist, obwohl die Taliban versuchen, sie zu unterbinden. Wir begrüßen diese Absicht.

 

Aber für die Entwicklung Afghanistans ist vor allem Geld nötig, das die USA beschlagnahmt haben und den Einwohnern dieses Landes nicht geben wollen. Der Westen sollte nicht nur dieses Geld dem Volk dieses Landes zurückgeben, wenn die Bedingungen passend sind, sondern auch sich eine Abfindung dafür überlegen, was er dem afghanischen Staat – seiner Wirtschaft und seiner Bevölkerung – in diesen 20 Jahren angetan hat.

 

Wir gehen davon aus, dass die Taliban nun einmal die Realität „auf dem Boden“ sind, und dass man mit ihnen verhandeln sollte. Allerdings werden wir diese Regierung de jure nicht anerkennen, solange sie ihre Verpflichtungen nicht erfüllt, die in der internationalen Völkergemeinschaft anerkannt wurden. Es geht nämlich darum, dass die Taliban die Inklusivität der Regierungsstrukturen sichern sollten, und zwar nicht nur aus ethnischer, sondern auch aus politischer Sicht. In der Taliban-Regierung gibt es Stand jetzt Usbeken, Tadschiken und Hazara-Vertreter, wie sie selbst behaupten. Das stimmt. Aber all diese ethnischen Vertreter sind aus politischer Sicht Taliban.

 

Für die Zivilgesellschaft ist es wichtig, dass im Land alle politischen Kräfte vertreten sind. Unter den anderen Kriterien für die juristische Anerkennung der Taliban reden alle von den Basisforderungen im Menschenrechtsbereich, insbesondere von den Frauenrechten. Das wird auf der Konferenz besprochen werden, die UN-Generalsekretär Guterres  einberuft.

 

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Und was das Abkommen hinsichtlich des iranischen Atomprogramms angeht?

 

Sergej Lawrow: Das ist keine Frage an uns. Wir gehen davon aus, dass die Vereinbarung zur Wiederaufnahme des Abkommens schon vor langem getroffen worden ist. Jetzt aber haben die europäischen Länder aus irgendwelchen Gründen ihren Enthusiasmus verloren. Die Amerikaner erklären schon auf verschiedenen Wegen anonym, dass man nach irgendwelchen „anderen Varianten“ suchen sollte. Ich weiß es nicht.

 

Ich denke, das wäre ein großer Fehler, wenn man die Chance auf Wiederbelebung dieses Deals verpassen sollte, besonders wenn man bedenkt, dass sich die Beziehungen zwischen den arabischen Ländern und dem Iran allmählich normalisieren. Unter anderem wurden unter Beteiligung Chinas die Beziehungen zwischen dem Iran und Saudi-Arabien wiederaufgenommen – das ist ein großer Fortschritt. Wir plädieren dafür, dass in der Golfregion Mechanismen zur Förderung der Kooperation und Transparenz und zur Vertrauensfestigung geschaffen wurden.

 

Stand jetzt hängt die Wiederbelebung dieses Deals nicht vom Iran, nicht von uns und nicht von China ab. Diejenigen, die den Deal zerstört haben, sollten ihn wieder ins Leben rufen. Wenn es eine Chance dafür gibt, dann eben auf diese Weise. Nach unserer Einschätzung entspricht das Dokument, das noch im vorigen Jahr abgesprochen wurde, dieser Aufgabe. Die Versuche, neue Forderungen zu formulieren, die es im ursprünglichen Text des Gemeinsamen allumfassenden Aktionsplans nicht gab, behindern diesen Prozess und widerspiegeln die Linie, über die wir heute gesprochen haben: Man will sich einseitige Vorteile aushandeln, unter anderem durch Erpressung anderer.

 

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Sie sprachen von der „goldenen Milliarde“. Was denken Sie: könnte es in der künftigen Welt nicht eine, sondern acht „goldene Milliarden“ geben?

 

Und meine zweite Frage gilt der „Zwei-Staaten-Lösung“. Alle begrüßen das. Glauben Sie daran, dass es eine reale Möglichkeit gibt, dass ein unabhängiger und souveräner palästinensischer Staat entstehen könnte?

 

Sergej Lawrow: Ich denke, dass wir nicht nachlassen dürfen. Wir sehen gerade Versuche, politische Aspekte der Palästina-Frage zu beseitigen und sich auf irgendwelche wirtschaftlichen Vorteile für die Palästinenser zu konzentrieren. Das ist im Grunde eine Art Bestechung: „Hier ist die finanzielle Logik, aber über Unabhängigkeit und euren eigenen Staat solltet Ihr vergessen.“

 

Wir haben heute schon den israelischen UN-Botschafter Gilad Erdan erwähnt, der in seiner emotionalen Rede Israels Recht auf den jüdischen Staat verteidigte. Aber wenn das so ist, was sollten wir mit den Palästinensern tun? Dann brauchen auch sie ihren eigenen Staat. Das wäre die Anerkennung davon, dass die „Zwei-Staaten-Lösung“ der einzige Weg wäre, den jüdischen Sinn Israels  zu „zerstören“, den es verteidigt.

 

Meines Erachtens wird am Ende des Tages die Vernunft die Oberhand gewinnen, und dann (wenn die Möglichkeit entsteht, sich damit ohne Rücksicht auf diese oder jene Wahlen zu beschäftigen) werden wir uns damit ernsthaft befassen. Aber andererseits wie kann man darauf keine Rücksicht nehmen?! In den USA gibt es alle zwei Jahre Wahlen…

 

Was die „Milliarde“ angeht, so habe ich schon gestern gesagt: es ist arrogant und unhöflich, was in den Nato- und EU-Beschlüssen geschrieben steht. Das ist  hochmütig. Das sind die Menschen, die sagen, dass „black lives matter“.

 

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Sie beteiligen sich persönlich an Gesprächen über Befreiung von Gefangenen in Amerika und Russland. Auch Evan Gershkovichs.

 

Sergej Lawrow: Nein.

 

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Eine Aufnahme der Ukraine in die Nato sieht nicht gerade realistisch aus, egal was manche sagen. Aber eine als EU-Mitglied – das wäre mehr realistisch. Was denken Sie?

 

Sergej Lawrow: Ich kann das nicht für die Europäische Union entscheiden. Wir sehen, dass diese Organisation rekordmäßig schnell militarisiert wird. Sie verwandelt sich in eine aggressive Struktur, deren Ziel in der Eindämmung Russlands besteht.

 

Achten Sie darauf, dass der serbische Präsident Aleksandar Vucic immer wieder seine Besorgnisse zum Ausdruck bringt, dass man von Serbien verlangt, dass es sich den Russland-Sanktionen anschließt und  die Unabhängigkeit Kosovos akzeptiert und dabei das Schicksal der Serben vernachlässigt, die seit Jahrhunderten im Norden dieser Region leben. Das ist eben, was die EU jetzt ist.

 

Wer eine antirussische Politik ausübt, hat positive Chancen. Es ist ja interessant, die Situation um Serbien oder auch um die Türkei zu beobachten, die seit vielen Jahren entsprechende Verhandlungen führt.

 

Die EU will dringend die Ukraine in ihre Reihen aufnehmen. Dann würde die EU aber beweisen, dass es sich nicht darum geht, wer diesen oder jenen Kriterien entspricht, sondern um ein rein geopolitisches Spiel: Man will möglichst viele „verwahrloste“ Territorien unter Kontrolle nehmen.

 

Ich weiß es nicht – das sollen die Europäer selbst entscheiden. Aber dass sich die EU Stand jetzt von der Nato kaum unterscheidet, steht außer Frage, zumal unlängst eine Nato-EU-Erklärung unterzeichnet wurde, in der klar und deutlich geschrieben steht, dass die Allianz die Sicherheit der Europäischen Union gewährleisten wird – und die EU hat sich dafür bedankt. Noch wurde festgeschrieben, dass dies für die „Milliarde“ wichtig ist.

 

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Wenn wir uns die Zeit anschauen, die bis Ende dieses Jahres bleibt, wie sind Ihre Erwartungen bezüglich des Friedens und der Sicherheit in der Welt? Gibt es aus Ihrer Sicht Perspektiven für Verhandlungen oder für Einstellung des Ukraine-Konflikts und auch anderer Konflikte (beispielsweise in Jemen und Libyen)? Sie erwähnten auch Sudan. Wie sind Ihre Hoffnungen und Erwartungen?

 

Sergej Lawrow: Ich werde nicht für Hoffnungen und Erwartungen bezahlt. Wir müssen konkrete Aufgaben lösen. Diese gelten Stand jetzt  der Sicherheit unseres Landes und der Verhinderung der Sicherheit, wenn russische Menschen, die seit Jahrhunderten in unserer Nachbarschaft leben, vom ukrainischen Regime diskriminiert und vernichtet werden. Unter anderem rein physisch vernichtet, wie offizielle Vertreter offen betonen.

 

Politik ist nun einmal so ein Ding… Im Mai 2003, mehrere Monate nach dem Beginn des illegitimen Irak-Kriegs, erklärte George Bush Jr. an Bord eines Flugzeugträgers, im Irak hätte Demokratie gewonnen. Das war 2003. Was erwarten Sie jetzt vom Irak? Ich weiß es nicht.

 

Dasselbe gilt auch für Libyen. Damals entschied sich US-Präsident Barack Obama für die Rolle des  Strippenziehers und ließ die Europäer in den Vordergrund treten. Es wurde eine Resolution des UN-Sicherheitsrats auf gröbste Weise verletzt, der zufolge lediglich der Luftraum über Libyen gesperrt werden sollte, damit Muammar al-Ghaddafis Luftstreitkräfte nicht fliegen könnten. Sie flogen auch nicht, aber am Ende wurde das ganze Land zerbombt, das jetzt in Ruinen liegt. Das ist, was Obama über Russland sagte. Das ist nicht mit der russischen Wirtschaft  passiert, aber mit dem libyschen Staat.

 

Ich hoffe, dass es im Kontext der Situation in Jemen Fortschritte geben wird. Ich habe heute schon gesagt, dass wir viel Wert auf die Bemühungen Saudi-Arabien um die Förderung eines direkten Dialogs legen.

 

Über die Entwicklung der Situation in der Ukraine will ich nicht raten. Es geht nicht darum, dass es einen gewissen Zeitplan geben würde – solche Zeitpläne gibt es in anderen Ländern.

 

Und was Libyen anbelangt, so haben die Franzosen schon häufiger irgendwelche Konferenzen ausgerufen, auf denen beschlossen wurde, dass dort „in vier Monaten und drei Tagen“ Wahlen stattfinden sollen. Das war noch seit 2015 so. Aber es hat sich nichts verändert.

 

Wir müssen einfach an der Umsetzung unserer legitimen Rechte arbeiten. Wir müssen das fair tun und die Motive erläutern, an denen wir uns richten. Und das taten wir auch bezüglich unseres Vorgehens im Rahmen der militärischen Sonderoperation.  Und wir wollen, dass auch unsere westlichen Kollegen dasselbe tun und erklären, welche Ziele sie im Irak, in Libyen und anderen Ländern verfolgen, wo sie aktiv  sind.

 

Man muss optimistisch bleiben – das ist unvermeidlich. Zwar sagt man, dass ein Pessimist einfach ein gut informierter Optimist ist, aber wir wollen hoffen, dass das Interesse an der Bündelung der Kräfte und die Einsicht die Oberhand gewinnen werden, dass es falsch wäre, die Weltgemeinschaft in „eine Milliarde“ und „sieben Milliarden“ zu spalten.  Es ist falsch, sich selbst über alle anderen zu stellen, egal durch welche aristokratischen Traditionen man das begründet. Wir alle leben auf unserer gemeinsamen Erde.

 

Wir haben eben über den dritten Weltkrieg gesprochen. Wer bräuchte ihn denn schon? Aber jemand ist möglicherweise bereit, bis zum Ende zu gehen. Ich zitiere einmal wieder die Worte: „Wenn die Ukraine Russland besiegt, werden wir den dritten Weltkrieg vermeiden.“ Durch solche Aussagen werden vorerst normale und sachliche Gespräche von verantwortungsvollen Politikern ersetzt.

 

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Arbeit. Sie ist wirklich wichtig. Ich rufe Sie abermals auf: Da es hier weniger russische Journalisten gibt als es geben sollte, kompensieren Sie bitte ihre kleine Zahl durch eine umfassende Beleuchtung davon, was Sie gerade von uns gehört haben.

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