01. August 2023   Aktuell

Israel Justizreform: Mit Vollgas nach rechts

Quelle: Rosa-Luxemburg-Stiftung Israel

Schon seit geraumer Zeit ist die politische und gesellschaftliche Entwicklung in Israel von Regierungen geprägt, deren neoliberale und nationalistische Politik sich auf jeden Aspekt im Leben der Menschen unter israelischer Kontrolle auswirken – zu beiden Seiten der Grünen Linie. Die neoliberalen und nationalistischen Tendenzen, die die israelischen Regierungen auszeichnen, verstärken sich gegenseitig und stellen für diejenigen, die nach progressiven Alternativen suchen, eine enorme Herausforderung dar.

Die Fortführung der Kontrolle über die besetzten palästinensischen Gebiete und der darin lebenden Menschen ist ein zentraler Aspekt israelischer Politik.

Die andauernde Besatzung hat fatale Rückwirkungen auf Israels innere Verfasstheit. Israel definiert sich selbst seit der Staatsgründung als jüdischer und demokratischer Staat. Doch die Instrumentalisierung der äußeren Gefahr zur Einhegung von Protest und zur Zementierung des Machterhalts führt dazu, dass Israels Mitte immer offener das jüdische Element nationalistisch und mitunter rassistisch auffasst und demokratische Räume immer kleiner werden.

 

Gegenwärtig ist die palästinensische Minderheit die am stärksten von Diskriminierung betroffene Gruppe innerhalb Israels.

Als Folge gehören Armut, Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung, Gewalt und Kriminalität zu ihrem Alltag. Die heutige neoliberale Politik verstärkt die Armut und schwächt die sozialen und ökonomischen Strukturen der palästinensischen Gesellschaft.

In dieser Situation sind die linken und progressiven Kräfte (einschließlich der politischen Parteien) bisher kaum in der Lage, neue Stärke und Popularität zu gewinnen, klare Alternativen  zu entwickeln und  größeres Publikum zu erreichen.

Das progressive Lager verfügt kaum über tiefgreifende Analysen der sozialen, ökonomischen und politischen Situation  und sozioökonomische Auseinandersetzungen finden getrennt von den Bemühungen um ein Ende der Besatzung statt.


 "Israel: Mit Vollgas nach rechts" -  Gil Shohat über die »Justizreform« in Israel

  • Gil Shohat
  • 25.07.2023, 16:25 Uhr

Demonstration in Tel Aviv nach der Verabschiedung der Justizreform

 

Demonstration in Tel Aviv nach der Verabschiedung der Justizreform

Der 24. Juli 2023 wird möglicherweise als entscheidender Tag in die politische Geschichte Israels eingehen. Am Nachmittag beschloss die Knesset die Abschaffung der »Angemessenheitsklausel«, mit der die Eingriffsmöglichkeit des Obersten Gerichts bei Regierungsentscheidungen massiv eingeschränkt, wenn nicht gar ausgehebelt wird. Am Abend versammeln sich erneut Zehntausende unter anderem auf der Kaplan Straße im Zentrum Tel Avivs, dem Symbol der seit Jahresbeginn andauernden Massenproteste der israelischen Opposition. Es herrscht Fassungslosigkeit, die sich in unterschiedlichen Formen Bahn bricht.

In der israelischen Protestbewegung, im liberalen Lager Israels insgesamt wird nun weithin vom Sieg einer korrupten Regierung gesprochen, die all das abschaffen wolle, was die liberale israelische Demokratie, ihre überparteiliche Armee und ihre dynamische Wirtschaft ausmacht. Es sind moralisch aufgeladene, an einzelne Minister*innen gerichtete Vorwürfe, die die Protestbewegung tragen und sie zu zweifellos beeindruckenden Erfolgen geführt haben – ohne dieses Durchhaltevermögen stünde es zweifellos bereits jetzt viel schlimmer um die verbliebenen Elemente der israelischen Gewaltenteilung.

Und doch ist diese Entwicklung keineswegs vom Himmel gefallen, sondern Ausdruck einer andauernden Hegemonie der politischen Rechten, an denen Teile der jetzigen Protestbewegung bis zuletzt ihren Anteil hatten. Daher verdeckt die individuelle Schuldzuweisung (einschließlich der auch unter Linksliberalen vorherrschenden Analyse, dass die Siedlerbewegung an allem schuld sei) die strukturellen Gründe, die das politische System dieses Landes immer mehr in Richtung eines rechten Autoritarismus treiben: die über 56 Jahre andauernde Duldung der Siedlungspolitik in den besetzten palästinensischen Gebieten und Ostjerusalem samt Vertreibung und Unterdrückung der lokalen Bevölkerung und die strukturelle Diskriminierung der palästinensischen Staatsbürger*innen in Israel durch den allergrößten Teil der jüdisch-israelischen Bevölkerung. Schließlich werden die Auswirkungen der sogenannten Justizreform zuerst die Minderheiten im Land sowie zuvorderst die Palästinenser*innen im Westjordanland und Gaza zu spüren bekommen. Die Instrumente, die seit 1967 in den besetzten Gebieten genutzt wurden zur Kontrolle der Palästinenser*innen, finden nun auch ihren Weg in das israelische Kernland – nicht zuletzt polizeiliche Maßnahmen, mit denen in den vergangenen Tagen gegen Demonstrierende vorgegangen wurde.

Es ist für die israelische (und internationale) Linke ermutigend, dass landesweit bei nahezu allen Protesten gegen die Regierung auch der sogenannte Anti-Besatzungsblock vertreten ist, bestehend aus Vertreter*innen zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie der sozialistischen Partei Hadasch. Er verdient die Solidarität der internationalen Linken. Der Block nutzt die aktuelle Krise der israelischen Gesellschaft, um auf die Absurdität der Situation als Besetzungsmacht aufmerksam zu machen, die gleichzeitig für sich reklamiert, die »einzige Demokratie im Nahen Osten« zu sein. Er ist daher wie ein Stachel im Fleisch dieser wichtigen Protestbewegung, die in ihrer Mehrheit jedoch ein Zurück zum alten Status quo wünscht.


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