Lateinamerika: Henry Kissinger: Vermächtnis des Todes
Nachruf der Redaktion der mexikanischen Tageszeitung La Jornada auf den US-Politiker und "Berater" Henry Kissinger
Von La Jornada
Quelle: amerika21
Foto: Kissinger kam zu den Feierlichkeiten anlässlich seines 100. Geburtstages im Stadttheater seiner Geburtsstadt Fürth (Juni 2023) Quelle: Kasa Fue
Lizenz: CC BY-SA 4.0 Deed
Es ist unmöglich, mehr als eine Handvoll Personen aufzuzählen, die der Menschheit größeren Schaden zugefügt haben als der verstorbene Henry Kissinger. Die Ungültigkeit der Maxime, dass es kein Übel gibt, das 100 Jahre überdauert, wurde am 27. Mai bewiesen
Sein Tod hätte zu keinem symbolträchtigeren Zeitpunkt erfolgen können: Stunden zuvor hatte eine Gruppe republikanischer Senatoren eine Gesetzesresolution durchgesetzt, die festgelegt, dass die Monroe-Doktrin, der Kodex, der Washingtons diplomatische, politische und bewaffnete Interventionen in allen Ländern Lateinamerikas und der Karibik rechtfertigt, ein dauerhafter und gültiger Grundsatz der US-amerikanischen Außenpolitik ist. Es war, als ob dieser Beschluss die Krönung seines jahrzehntelangen Bemühens um die Vernichtung jeder anderen Souveränität als die der USA darstellte und er sich dann in Frieden zurückziehen konnte.
Als Außenminister während der Regierungen von Richard Nixon und Gerald Ford, als Akademiker und als privater Berater während eines halben Jahrhunderts hat er einige der schlimmsten Gemetzel der Geschichte organisiert und angezettelt. Und seine Rolle als Mentor von Generationen der US-Oligarchie stellt sicher, dass seine Ideen auch nach seinem physischen Ableben Tod und Elend verursachen werden. In jeder Angelegenheit, in die er sich einmischte, stellte er sich auf die Seite von Despoten und Mördern und hinterließ eine Spur von Tod, Leid und der Zerstörung von Menschenrechten. Seine lange Lebenszeit und sein anhaltender Einfluss in den Kreisen der Mächtigen ermöglichten es ihm, eine ebenso tiefe wie düstere Prägung auf dem Planeten zu hinterlassen.
Sein Lebenslauf umfasst den Völkermord am vietnamesischen Volk, wo das US-Militär mehr Bomben abwarf als im gesamten Zweiten Weltkrieg; die Ermordung von Präsident Salvador Allende und 30.000 weiteren Chilenen sowie die Verarmung der großen Mehrheiten dieses Landes und eine brutale Indoktrination mit dem Konservatismus, von der sich Chile bis heute nicht erholt hat; die Hinrichtungen von Hunderten von Menschen im Cono Sur im Rahmen der Operation Condor2, die ethnischen Säuberungen des indonesischen Diktators Suharto in Osttimor, die Aufrechterhaltung des Terrorregimes von Schah Reza Pahlewi im Iran, die Unterstützung der grausamen Apartheid in Südafrika und eine Vielzahl weiterer Gräueltaten, die ihm von Seiten des Schriftstellers Gore Vidal den Beinamen "der größte Kriegsverbrecher auf freiem Fuß" einbrachten.
In seinen letzten Jahren tauschte er seine wütende interventionistische Militanz gegen pragmatischen Realismus ein. So kritisierte er beispielsweise die China-Politik des Weißen Hauses als vergeblichen Versuch, die Konsolidierung einer Supermacht zu stoppen, die keinerlei Absicht hat, dem Rest der internationalen Gemeinschaft ihr Weltanschauungssystem aufzudrängen. Diese Wende bedeutete jedoch keine Abkehr von seinen rassistischen und intoleranten Überzeugungen: Erst vor einem Monat bezeichnete er die in Deutschland stattfindenden pro-palästinensischen Demonstrationen als das Ergebnis "des schweren Fehlers, die Einwanderung so vieler Menschen mit einem völlig anderen kulturellen und religiösen Hintergrund zuzulassen".
In einer Welt, in der Gerechtigkeit herrscht, wäre er für die zahlreichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die auf seinen Befehl oder Rat hin begangen wurden, im Gefängnis gestorben.
In der globalen Ordnung, die er mehr als jeder andere mit aufgebaut hat ‒ eine Ordnung, die Washingtons Flugzeugträgern, Militärbasen, Bombern, Drohnen und Raketen unterworfen ist ‒ verschied er inmitten von Huldigungen und Lobpreisungen des Establishments, für das er unermüdlich arbeitete.
Es besteht wenig Hoffnung, dass sein Tod eine Korrektur unter den Eigentümern des Kapitals und denjenigen, die die politischen Fäden in Washington ziehen, befördern wird.
Im Gegenteil, der gegenwärtige Kurs der Supermacht deutet darauf hin, dass die Beratung von Herrschern über die effektivsten Methoden zur Vernichtung von Menschen und zur Durchsetzung parasitärer Wirtschaftssysteme weiterhin ein lukrativer und gefeierter Beruf sein wird. Wenn es unvermeidlich scheint, dass die USA neue Kissingers hervorbringen werden, so ist doch zumindest zu hoffen, dass die Welt das US-amerikanische Joch abschüttelt und die von diesem Falken verkörperte Einmischung kategorisch ablehnt.
- 1. Am 27. Mai 2023 beging Kissinger seinen 100. Geburtstag
- 2. Als "Plan Condor" oder "Operation Condor" wird die Zusammenarbeit verschiedener südamerikanischer Geheimdienste und der USA in den 1970er und 1980er Jahren bezeichnet. Unter dem Motto "Kampf gegen den Kommunismus" tauschten im Zeitraum von 1970 bis 1990 Chile, Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay, Bolivien und später auch Ecuador und Peru Geheimdienst-Informationen über linke Aktivisten und andere Oppositionelle aus, um jede politische Opposition zu erfassen und Gegner der Diktaturen zu eliminieren
Quelle: lajornada
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