14. Januar 2024   Aktuell

Historiker Baberowski "Vermutlich wird Putin der Sieger sein"

Sehr rationale Antworten des Historikers Jörg Baberowski. Auf die Märchenerzählungen des Interviewers lässt er sich nicht ein.


 

"Vermutlich wird Putin der Sieger sein", Historiker Barberowski im Interwiev mit t-online

Quelle: t-online

Horrende Verluste an der Front, dazu die Isolation durch den Westen: Russlands Regime sollte mittlerweile friedenswillig sein, so die Hoffnung. Doch Wladimir Putin setzt weiter auf Sieg, warnt der Historiker Jörg Baberowski.

Eine ukrainische Offensive an der Front, dazu der Wirtschaftskrieg des Westens – eigentlich sollte Russland längst geschwächt und besiegt am Verhandlungstisch sitzen. Doch es ist anders gekommen. Wladimir Putin residiert weiterhin im Kreml, wähnt sich offensichtlich stärker als zuvor, Russlands Kollaps ist ausgeblieben. Jörg Baberowski, einer der führenden Osteuropahistoriker, hat diese Entwicklung früh vorausgesagt – unter anderem in mehreren Interviews mit unserer Redaktion in den vergangenen zwei Jahren.

Nun bekräftigt Baberowski in einem neuen Gespräch seine Prognose: "Russland wird diesen Krieg nicht verlieren." Wie der Russlandexperte zu dieser Einschätzung kommt, weshalb er der deutschen Außenpolitik dringend mehr Pragmatismus empfiehlt und Putin samt Entourage keineswegs "verrückt" sei, erklärt Baberowski hier:

t-online: Professor Baberowski, an der Front in der Ukraineherrscht ein blutiges Patt, die russische Armee erleidet große Verluste. Wie sicher ist Putins Herrschaft?

Jörg Baberowski: Putins Regime ist stabil. Russland wird diesen Krieg nicht verlieren, Putins Herrschaft nicht zusammenbrechen.

Warum sind Sie da so sicher?

Die Regierung versteht sich darauf, die Bevölkerung hinter sich zu versammeln,

indem sie den Krieg als eine Auseinandersetzung mit dem Westen verkauft. Die meisten Oppositionellen haben nach dem Angriff auf die Ukraine das Land verlassen. Die Rüstungsproduktion läuft auf Hochtouren, Russlands Wirtschaftsleistung ist durch die Sanktionen nicht eingebrochen. Auch werden die Sanktionen auf geschickte Weise umgangen, andere Staaten kompensieren, was der Westen nicht mehr leisten will. Im Gegensatz zur Ukraine werden in Russland keine Soldaten mobilisiert, sondern durch finanzielle Anreize angeworben. Die Soldaten kommen fast ausschließlich aus den ländlichen Randregionen. So kommt es, dass die Bevölkerung in den großen Städten die Auswirkungen des Krieges nicht spürt.

Die meisten dieser Rekruten sind aber nicht kriegserprobt, weshalb an der Front Tausende sterben. Kann Putin mit dieser zynischen Strategie wirklich siegen?

Die ukrainischen Rekruten sind auch nicht kampferprobt; die meisten Soldaten, die 2022 noch auf dem Schlachtfeld waren, tot oder verwundet. Es kommt am Ende darauf an, wer diesen Abnutzungskrieg, in dem es gar nicht mehr darauf ankommt, was die Soldaten wirklich können, länger aushält. Die westliche Unterstützung für die Ukraine lässt nach. In vielen europäischen Ländern spielt dieser Krieg in der öffentlichen Wahrnehmung eine geringere Rolle als in Polen oder Deutschland, in den USA beginnt der Präsidentschaftswahlkampf und zieht alle Aufmerksamkeit auf sich. Der Kreml beobachtet diese Entwicklungen sehr genau. Macht hat, wer warten kann.

Zur Person

Jörg Baberowski, Jahrgang 1961, lehrt Geschichte Osteuropas an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Forschungsfelder sind unter anderem der Stalinismus und die Geschichte der Gewalt. 2012 erhielt der Historiker den Preis der Leipziger Buchmesse für sein Standardwerk "Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt". Am 11. Juli 2024 wird Baberowskis neues Buch "Der sterbliche Gott. Macht und Herrschaft im Zarenreich" erscheinen.

Verfolgen Putin und seine Entourage immer noch ihr Maximalziel, wollen also die gesamte Ukraine unterwerfen?

Was die Machthaber im Kreml wirklich denken, wissen wir nicht. Aber wir können ihre Handlungen deuten. Vor einem Jahr, als sich die russische Armee aus Cherson und dem Raum Charkiw zurückziehen musste, hätte es vielleicht die Möglichkeit für einen Kompromissfrieden gegeben. Jetzt aber scheint es so, als wolle Putin alles haben, was er bekommen kann.

Die ganze Ukraine?

Die ganze Ukraine. Oder eben das, was militärisch erreichbar ist.

Wie sollte das erreichbar sein?

Die Zeit arbeitet für Russland. Die russische Armee hat aus ihren Fehlern gelernt, sie hat im vergangenen Sommer und Herbst gezeigt, dass mit ihr noch zu rechnen ist. Die ukrainische Infrastruktur wird mit Raketen und Drohnen attackiert, die russische Kriegswirtschaft liefert, was die Armee braucht.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Rückeroberung aller russisch besetzten Teile seines Landes als Kriegsziel ausgegeben. Ist dieses Ziel überhaupt noch realistisch?

Selenskyj weiß so gut wie jeder vernünftige Mensch, dass dieses Ziel nicht erreichbar ist. Seine Generäle werden es ihm gesagt haben. Jede Verhandlung beginnt damit, dass Forderungen erhoben werden, von denen man dann abrücken muss. Nur in Deutschland melden sich "Experten" zu Wort, die glauben, dieser Krieg könne für Russland ähnlich enden wie für die Wehrmacht im Jahr 1945.

Jörg Baberowski beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Geschichte Russlands.Vergrößern des Bildes Jörg Baberowski beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Geschichte Russlands. (Quelle: imago images)

 

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