05. Juli 2024   Aktuell

Reden vom Krieg - Israel will Libanon in die Steinzeit zurückbomben

"Reden vom Krieg"

Quelle: NachDenkSeiten, ein Artikel von Karin Leukefeld aus Beirut

Wird es Krieg gegen den Libanon geben? Israel will das Land „in die Steinzeit“ zurückbomben. Die Hisbollah will keinen Krieg, sondern Waffenstillstand in Gaza. Die USA und die NATO-Länder senden widersprüchliche Signale aus. Von Karin Leukefeld (Beirut).

Die Libanesen rätseln, ob Israel den Angriff auf ihre Heimat wagen wird und ob man den USA vertrauen kann, wenn deren Abgesandte sagen, man wolle Israel von dem Krieg abhalten. In Washington lautete vor wenigen Tagen die Botschaft des Pentagons an den israelischen Verteidigungsminister Yoav Gallant, dass ein erneuter Krieg zwischen Israel und der Hisbollah „leicht ein regionaler Krieg werden“ könne, „mit schrecklichen Auswirkungen für den Mittleren Osten.“

Gleichzeitig sendet die US-Marine drei Amphibienboote vor die Küste des Libanon ins östliche Mittelmeer. Die Schiffe, die an Land fahren können, sind Teil des 24. Expeditionskorps der Marine, dem rund 2.200 US-Marines und Matrosen angehören. Die meisten von ihnen sind an Bord der USS „Wasp“, einem amphibischen Kriegsschiff, untergebracht, das u.a. große Mengen an Waffen, Munition und Hubschrauber mit sich führt.

 

Was offiziell „Teil einer geplanten Rotation“ sein soll, kann auch einer möglichen Evakuierung von rund 86.000 Personen mit US- oder US-/libanesischer Staatsangehörigkeit dienen, die nach Schätzung der US-Botschaft im Libanon leben und die im Fall eines israelischen Angriffs auf den Libanon in Sicherheit gebracht werden sollen.

Pläne dafür liegen Medienberichten zufolge nicht nur im Pentagon, sondern auch bei anderen NATO-Ländern bereit. Kanada bereitet Berichten zufolge die Evakuierung von 20.000 Personen mit kanadischer bzw. kanadisch-libanesischer Staatsangehörigkeit vor. Großbritannien, Frankreich, Deutschland und andere EU-Staaten haben deutsche Staatsangehörige wiederholt aufgefordert, nicht in den Libanon zu reisen oder das Land umgehend zu verlassen.

 

Westliche Medien zitieren aktuell US-amerikanische Geheimdienstkreise, die einen Krieg Israels gegen den Libanon in wenigen Tagen bis wenigen Wochen für möglich halten. Der israelische Kriegsminister Yoav Gallant, der sich kürzlich in Washington aufhielt, warb bei der USA-Führung um Unterstützung für diesen Krieg. Offiziell winkten die Militärs und auch Pentagon-Chef Lloyd Austin ab und erklärten, es müsse eine Verhandlungslösung im Gazakrieg geben, um einen Krieg gegen den Libanon zu vermeiden.

 

Das Spiel mit dem Feuer wird vom israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu aktuell weiter eskaliert. Täglich werden Wohnhäuser, Fahrzeuge, landwirtschaftliche Gebiete im Südlibanon attackiert, jeden Tag sterben Angehörige der Hisbollah und anderer Kampfverbände, jeden Tag sterben Zivilisten. Die libanesische Hisbollah hat angekündigt, man wolle keinen Krieg, werde aber im Fall eines israelischen Angriffs auf den Libanon „ohne Regeln und ohne Obergrenze“ den Krieg nach Israel tragen. Es werde dann keinen sicheren Ort in Israel geben.

 

Der Druck auf die Hisbollah und den Libanon, die militärischen Angriffe auf Israel einzustellen und sich hinter den Litani-Fluss zurückzuziehen, erhöht sich täglich. Ein genauer Blick macht allerdings deutlich, dass die Angriffe Israels gegen den Libanon deutlich mehr sind als die der Hisbollah auf Israel.

 

In der Zeit vom 7. Oktober 2023 bis 21. Juni 2024 haben sich entlang der „Blauen Linie“ zwischen dem Südlibanon und Israel – aus libanesischer und palästinensischer Sicht der „besetzte Norden Palästinas“ – nach einer Dokumentation des Armed Conflict Location and Event Data Project (ACLED) mindestens 7.400 Angriffe ereignet. 83 Prozent dieser Angriffe wurden von Israel verübt, insgesamt 6.142. Dabei wurden mindestens 543 Personen im Libanon getötet. Hisbollah und andere bewaffnete Gruppen seien demnach für 1.258 Angriffe verantwortlich, bei denen mindestens 21 Israelis getötet worden seien.

 

Scheich Naim Qassem, stellvertretender Generalsekretär der Hisbollah, betonte in einem AP-Interview vom 2. Juli 2024, von Seiten der Hisbollah werde der Kampf an der libanesischen Grenze beendet sein, sobald ein vollständiger Waffenstillstand in Gaza erreicht sei. Der Kampf an der Grenze diene der Unterstützung des palästinensischen Volkes gegen die zionistische Aggression gegen den Gazastreifen. „Wenn es einen Waffenstillstand in Gaza gibt, werden wir ohne eine Diskussion aufhören“ (zu feuern, KL), so Qassem. Sollte Israel allerdings in einer angekündigten „3. Phase“ den Angriff auf den Gazastreifen in anderer Form fortsetzen und den Gazastreifen nicht verlassen, sei unklar, wie sich die Situation im Südlibanon entwickeln werde. Man wisse nicht, was geschehe, aber bis diese „Übergangsphase beginnt, kann ich mir nicht vorstellen, dass es Bedingungen für einen Krieg gibt“, sagte Qassem. „Wir wollen keinen Krieg. Und es sieht aus, dass die andere Seite, die israelische Entität, weder die Fähigkeit hat (zum Krieg, KL) noch die Entscheidung dafür getroffen hat.“ (Quellen: youtube , stripes.com)

 

Bundesnachrichtendienst redet mit Hisbollah

 

Scheich Naim Qassem äußerte sich, nachdem Anfang der Woche bekannt geworden war, dass eine Delegation des deutschen Bundesnachrichtendienstes BND mit der Hisbollah in Beirut das Gespräch gesucht hatte. Die libanesische Tageszeitung Al Akhbar hatte am Montag berichtet, der Vizepräsident des BND, Ole Diehl, sei nach einem ersten Gespräch mit Scheich Naim Qassem im Januar 2024 Ende letzter Woche zu einem erneuten Treffen mit der Nummer 2 der Hisbollah nach Beirut zurückgekehrt. Die Delegation sei nach Berlin zurückgekehrt, offizielle libanesische Politiker habe Diehl nicht getroffen. Der Aufenthalt der BND-Delegation in Beirut habe „einige Stunden“ gedauert.

 

Al Akhbar berichtete, „Quellen, die über das Treffen zwischen Diehl und Qassem“ informiert worden seien, hätten von einer „positiven Atmosphäre“ gesprochen. Auch der Leiter der BND-Residentur in Beirut habe an der Besprechung teilgenommen. Eine offizielle geheimdienstliche Niederlassung in einem anderen Land, eine Residentur, ist in die jeweilige Botschaft integriert. Man habe sich über die jeweiligen Einschätzungen der aktuellen Ereignisse in Gaza und im Südlibanon ausgetauscht, so Al Akhbar. Anders als westliche Botschafter gegenüber libanesischen Offiziellen habe Diehl „keine Drohungen“ vorgebracht. Er habe vielmehr direkt klären wollen, was Außenministerin Baerbock bei ihrem Kurzbesuch in Beirut (26. Juni 2024) begonnen habe, um den Ausbruch eines großen Krieges im Südlibanon zu verhindern. Diehl habe „Al Wasta“ benutzt, „direkte persönliche Beziehungen“.

 

Die deutsche Delegation, so Al Akhbar, habe die Interessen Israels dargestellt, seine Inlandsvertriebenen aus dem Norden „des besetzten Palästinas“, die „Siedler“ (Al Akhbar) zurückzubringen. Qassem habe wiederholt, was er bereits im ersten Gespräch mit Diehl gesagt habe. Danach sei ein Waffenstillstand im Südlibanon verknüpft mit einem Waffenstilland in Gaza, der vom palästinensischen Widerstand akzeptiert werde. Westliche Länder, die den Ausbruch eines großen Krieges befürchteten, sollten Druck auf Israel ausüben, um den Krieg in Gaza zu stoppen. Das Bestreben der Deutschen, direkt zu kommunizieren, um einen totalen Krieg zu vermeiden, zeige, „dass sich die westlichen Länder der Fähigkeiten des Widerstandes (Hisbollah, KL) in der Konfrontation bewusst“ seien, so Al Akhbar.

 

BND: Kein Kommentar

 

Die Deutsche Presseagentur (dpa) berichtete, auf Nachfrage habe der BND erklärt, „man nehme zu Angelegenheiten, die etwaige nachrichtendienstliche Erkenntnisse oder Tätigkeiten betreffen, grundsätzlich nicht öffentlich Stellung. Darunter fielen auch angebliche Dienstreisen der Leitung.“ Damit werde „keine Aussage getroffen, ob der Sachverhalt zutreffend ist oder nicht“.

 

Die Bundesregierung hat offenbar frühere Kontakte des deutschen Bundesnachrichtendienstes reaktiviert, um mit der Hisbollah zu kommunizieren. Anfang der 2000er-Jahre hatte der BND – u.a. in Person des langjährigen BND-Mitarbeiters Gerhard Conrad – zwischen Israel und der Hisbollah und zwischen Israel und der Hamas Geisel- und Gefangenenaustausch vermittelt.

 

„Wird es Krieg geben?“

 

Bei Gesprächen in Beirut wird der Autorin immer wieder diese Frage gestellt. Ob im Pressezentrum, in Cafés oder in Mar Elias, einem der ältesten palästinensischen Flüchtlingslager im Zentrum der Stadt, steht die israelische Drohung, den Libanon „in die Steinzeit zu bomben“, bei politischen Gesprächen im Vordergrund.

 

Ein Presseteam des US-amerikanischen Senders CNN verhandelt eine Verlängerung seiner Akkreditierung. Der Krieg in der Region hat noch immer Journalisten aus aller Welt angezogen. „Sie kommen wegen des Krieges“, sagt Herr M., der im libanesischen Pressezentrum verantwortlich für ausländische Journalisten ist. Er zuckt mit den Schultern und fragt: „Was meinen Sie, wird Israel uns angreifen?“

 

Selbst meint er auf die Gegenfrage, die Lage stehe „50 zu 50“. Mal denke er, die USA würden Israel davon abhalten, andererseits lieferten die USA weiter Waffen an Israel und unterstützten dessen Krieg in Gaza. „Die Lage hier bei uns ist ohnehin schon schwierig“, fügt er hinzu. „Wirtschaftskrise, Flüchtlingskrise und jetzt diese Kriegsdrohungen. Wir kommen einfach nicht zur Ruhe.“

 

„Wir bestehen auf unsere Rechte“

 

Marie Nassif-Debs, langjähriges Mitglied im Parteivorstand der Kommunistischen Partei des Libanon und zuständig für internationale Beziehungen, äußert sich im Gespräch deutlich. Die Vermittlungsversuche von USA, Frankreich und Deutschland sieht sie skeptisch. Alle diese „Vermittler“ seien engste Partner Israels und verfolgten in jedem Fall eigene Interessen. „Sie nutzen die Situation, um uns aus Angst vor einem neuen Krieg unter Druck zu setzen und ihren und den Interessen Israels nachzugeben“, sagt Marie Debs.

 

Die Militäraktionen im Süden des Libanon und mehr noch in Gaza hätten viele Opfer gefordert, sagt sie. Die Kosten von Zerstörung und Vertreibung seien enorm. Dennoch werde sich „das libanesische Volk nicht dem Willen der Invasoren unterwerfen“ und „deren Diktate akzeptieren“. Die „Vermittler“ drängten, dass die Resolution 1701 des UNO-Sicherheitsrates „nur vom Libanon allein“ umgesetzt werden solle. „Die Markierung der Landesgrenze soll der imperialistisch-zionistischen Karte“ folgen, die Amos Hochstein, der Beauftragte der USA in Beirut, der Übergangsregierung vorgelegt habe.

 

Zudem trete die „neue“ Grenzziehung im Mittelmeer „einen Teil unserer Gasvorkommen an den Feind ab“, so Debs. Der „Feind“ ist eindeutig Israel, mit dem der Libanon sich im Kriegszustand befindet. Die Libanesen würden das nicht akzeptieren, betont Marie Debs. „Wir bestehen auf unsere Rechte, die heute verletzt werden. Wir bestehen auf die Shebaa-Farmen und das Gebiet von Kfar Shouba. Wir bestehen darauf, das Wasser nutzen zu können, das heute auf die Felder des Feindes fließt, und wir bestehen auf die 1.420 Quadratkilometer im Mittelmeer, die an unsere Feinde abgetreten wurden.“

 

Mit allen Kräften werde man weiterhin für die eigenen Rechte eintreten und für die Rechte der Palästinenser, damit diese in ihre Heimat zurückkehren und den palästinensischen Nationalstaat aufbauen könnten, und zwar „auf dem gesamten Boden Palästinas, mit Jerusalem als Hauptstadt“.

 

Ansichten über die Rechte der Palästinenser, die in mehreren Ländern der EU sogar strafrechtlich verfolgt werden, teilt die Mehrheit der Libanesen, auch wenn nicht alle sich so deutlich äußern wie Marie Debs.

 

„Alle Palästinenser sind meine Familie“

 

Im palästinensischen Flüchtlingslager Mar Elias gehen die Menschen ihrem Alltag nach. Die kleinen Geschäfte in den engen Gassen verkaufen Obst und Gemüse, im Ghassan-Kanafani-Kindergarten besprechen die Kindergärtnerinnen mit der Leiterin Maha Y. das Sommerprogramm für die Kinder.

 

Der Kindergarten ist nach dem bekannten palästinensischen Autor und politischen Führer Ghassan Kanafani benannt, der am 8. Juli 1972 durch eine Sprengladung unter seinem Auto gemordet wurde. Der israelische Mossad erklärte sich verantwortlich. Mit Kanafani starb Lamis, seine Nichte, für die er an jedem Geburtstag ein Bilderbuch verfasst hatte. 1974 gründete die Witwe von Ghassan Kanafani, Anni Kanafani, die nach ihrem Mann benannte Kulturstiftung, in deren Rahmen zunächst seine Bücher veröffentlicht wurden. Dann folgten Kindergärten und Behinderteneinrichtungen in allen palästinensischen Flüchtlingslagern des Libanon, die bis heute Tausenden von Kindern einen guten Start in ihre Zukunft ermöglichen wollen. Anni Kanafani, die 1960 als 25-jährige Studentin aus Dänemark in den Mittleren Osten gereist war, um die Lage der Palästinenser zu verstehen, heirate Ghassan Kanafani 1961. Bis heute ist sie aktiv in der Stiftung.

 

Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Einrichtungen sind Nachfahren von Palästinensern und haben Familie im besetzten Westjordanland, in Bethlehem oder Gaza. Mit ihrem libanesischen Flüchtlingspass sei eine Reise zur Familie in Bethlehem nicht möglich, sagt Frau Maha Y., die als junges Mädchen vor 40 Jahren die Arbeit in der Stiftung aufnahm. Alle ihre Kinder leben und arbeiten im Ausland. „Niemand hier will Krieg“, sagt sie.

 

Daoun K., die ebenfalls seit vielen Jahren im Kanafani-Kindergarten arbeitet, rückt ihr rosafarbenes Kopftuch zurecht, bevor sie auf die Frage antwortet, wie es ihr angesichts des Krieges in Gaza gehe. Ihre Eltern seien 1948 aus Akko vertrieben worden, die Familie sei in alle Himmelsrichtungen zerstreut. „Alle Palästinenser sind meine Familie“, sagt sie, und auch sie betont: „Niemand will Krieg.“

 

„Ein israelischer Sieg ist nicht in Sicht“

 

Souheil El-Natour, Politikwissenschaftler und seit Jahrzehnten Beobachter der Entwicklungen in der palästinensischen Flüchtlingsgesellschaft, sagt im Gespräch mit der Autorin, die USA müssten klären, was sie wirklich wollten. Eine Ausweitung des Gazakrieges in den Libanon bedeute, die ganze Region werde vom Krieg erfasst. Der Krieg könne dazu führen, dass bewaffnete Kräfte in den Norden Israels eindringen und den Krieg auf israelisches Territorium zurückbrächten.

 

Die USA hätten Stützpunkte und Militärbasen, Militärflughäfen und Häfen in der Region, die zur Zielscheibe würden, so El-Natour. Was bedeute es für Jordanien und Ägypten oder die Golfstaaten, wenn USA-Militärbasen in deren Ländern angegriffen würden? Wären die USA in der Lage, alle diese Stützpunkte und die dort stationierten Soldaten zu verteidigen? „Die USA müssen sich klarmachen, dass eine Ausweitung des Krieges hier sich auf die Präsidentschaftswahlen im eigenen Land auswirken wird“, fährt Souheil El-Natour fort. Die USA müssten die Frage beantworten, warum sie den Krieg nicht stoppten, obwohl „ein Sieg nicht in Sicht“ sei.

 

Im USA-Kongress gebe es starke Stimmen für die weitere Bewaffnung Israels, weil man nicht wolle, „dass Israel den Krieg verliert“. Doch genau das geschehe. „Wichtig ist der Protest der US-amerikanischen Friedensbewegung, die an vielen Orten von Juden innerhalb der USA angeführt wird. Wenn dieser Protest gegen den Kriegskurs von Netanjahu stärker wird, kann Israel von außen weiter geschwächt werden.“

 

Auf die Frage, welchen Rat er der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock gebe, die sich kürzlich im Libanon aufgehalten habe, antwortet Souheil El-Natour: „Kommen Sie hierher und bleiben Sie eine Woche in einem palästinensischen Flüchtlingslager. Sie werden viel lernen, und vielleicht werden Sie dann auch den Konflikt hier verstehen.“ Die Libanesen wollten nur ihr Land erhalten und die Palästinenser wollen ihr Land zurück, das noch immer von Israel besetzt ist: „Das ist alles.“

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