10. Januar 2025   Aktuell

Angeblich haben die Grünen besonders hohe moralische Ansprüche – diese Behauptung war schon immer Unsinn

Die Grünen hängen sich gern ein moralisches Mäntelchen um: Sie verteidigen die Demokratie gegen Diktatoren und retten das Klima. So weit die Theorie, doch in der Praxis hat ihre Politik oft gegenteilige Folgen. Vetternwirtschaft ist dabei das geringste Problem. (NZZ) Ihr Trend zu LNG ist ein Verbrechen an der Umwelt.


von Eric Gujer

Die Empörung über den grünen Klüngel im Wirtschaftsministerium ist im höchsten Mass lächerlich. Nepotismus und Ämterpatronage gehören zur Politik. Seit je werden Günstlinge und Parteigänger in einflussreiche Positionen befördert. Trauzeugen bekleiden auch in anderen Ministerien in Berlin wichtige Posten.

Das ist bis zu einem gewissen Grad nicht verwerflich, denn Minister benötigen Vertraute an Schaltstellen, um ein Ministerium und dessen nachgeordnete Behörden führen zu können. Gerade Robert Habeck, der Schöngeist mit dem vergrübelten Blick, ist auf professionellen und loyalen Beistand angewiesen.

Hätte sich Patrick Graichen an die Regeln gehalten und die Fäden aus dem Hintergrund gezogen, wäre er heute noch Staatssekretär und sein Trauzeuge Geschäftsführer einer bundeseigenen Lobbytruppe. Zum Verhängnis wurde ihm die Dreistigkeit, mit der er vorging, er wahrte nicht einmal den Anschein eines rechtlich einwandfreien Verfahrens.

Was den Fall besonders macht, ist das grüne Milieu, in dem er spielt. Die Grünen waren doch bisher die besseren Menschen – wenigstens werden sie in den Medien, besonders im öffentlichrechtlichen Rundfunk, mit viel Tremolo so dargestellt.

Viele Journalisten vergöttern die Grünen geradezu. Sie sehen in ihnen die Garanten eines besseren Deutschland: einsame Kämpfer gegen den Klimawandel, sensibel, gendergerecht und divers, Retter der Flüchtlinge, geleitet von Werten statt von schnöden Interessen.

 

 

Jetzt müssen die Medien feststellen, dass die Grünen eine ganz normale Partei sind. Die enttäuschte Liebe wird in zahllosen Artikeln zur Habeck-Graichen-Affäre bewältigt. Sogar die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» raunt von einer «Entzauberung», als hätten die Grünen jemals einen Zauber besessen.

Wer glaubt, dass Parteien ein Zauber innewohnt, sollte zum Arzt gehen.

Die Enttäuschung wird derzeit auf eine ebenso knappe wie gedankenlose Formel gebracht: Wie können die Grünen so etwas machen, obwohl sie doch so hohe moralische Ansprüche stellen? Hier offenbart sich das Missverständnis in der Liebesbeziehung zwischen den Medien und der Partei. Die Grünen waren noch nie besonders moralisch.

Wenn es konkret wird, scheitern die Grünen

Moral ist in der Politik ein schillernder Begriff, und gerade in Deutschland hält man Politik für ein schmutziges Geschäft. Ohne Finten und Listen, ohne faule Kompromisse und manchmal die brachiale Durchsetzung von Macht ist auch in Demokratien kein Staat zu machen.

Moral bezeichnet in der Politik etwas anderes als in der christlichen Ethik, worauf Niccolò Machiavelli hinzuweisen nicht müde wurde. Gedankt hat dem Florentiner so viel Ehrlichkeit niemand, weil vor allem der schöne Schein zählt.

In der Politik bedeutet Moral nicht, das Wahre, Schöne und Gute in klugen Reden zu fordern (und Robert Habeck gehört eindeutig zu den Klügeren im Berliner Betrieb). Deshalb sind Schriftsteller selten gute Politiker.

 

In der Politik ist ohne praktische Umsetzung alles nichts. Politik muss Lösungen finden, um Werte Wirklichkeit werden zu lassen. An dieser konkreten Moral scheitern die Grünen gerade, allen voran der Wirtschaftsminister und Literat Habeck.

Ein profanes Beispiel für den Unterschied zwischen abstrakter und konkreter Moral ist der Streit um das Verbot fossiler Heizungen. Der ursprüngliche Gesetzentwurf aus dem Wirtschaftsministerium enthielt einen so ambitionierten Zeitplan, dass Hausbesitzer und Mieter – sowie ihre Schutzpatrone FDP und SPD – auf die Barrikaden gehen mussten.

Widerstand gegen die Vorlage hätte es auch dann gegeben, wenn das Team Habeck weniger konfrontativ vorgegangen wäre. Dafür existieren bei diesem Thema einfach zu viele Anspruchsgruppen mit divergierenden Interessen; und zwar nicht nur die Oma in ihrem kleinen Häuschen, die mit der Wärmepumpe zwangsbeglückt werden soll, sondern genauso die mächtigen Stadtwerke, deren Gasnetze wertlos zu werden drohen.

Allerdings wäre es die Aufgabe des Ministeriums gewesen, den Widerstand vorherzusehen und Mehrheiten zu suchen – auch um den Preis einer weniger ambitionierten Vorlage. Tragfähige Lösungen zu erarbeiten, um die Welt ein kleines Stückchen besser zu machen, das ist in der Politik Moral.

Der Atomausstieg beschleunigt den Klimawandel

Auch bei anderen Themen geben nicht nur die deutschen Grünen dem Wahren, Schönen und Guten den Vorzug vor dem Konkreten. Obwohl der lange Kampf gegen die Atomkraft der Gründungsmythos der Partei ist, hätte sie akzeptieren müssen, dass sich mit der Erderwärmung die Rahmenbedingungen fundamental geändert haben.

 

Ohne den sehr deutschen Spleen des Atomausstiegs würde Deutschland heute deutlich weniger CO2 produzieren. Indem die Grünen den Atomausstieg (unter Mithilfe der Merkel-CDU) unbeirrt durchgesetzt haben, gewichteten sie das Ideal höher als das praktische Ergebnis. Genau das ist in der Politik amoralisch.

Ähnlich verhält sich Aussenministerin Baerbock, wenn sie sich als die heilige Annalena von Xinjiang inszeniert. Indem sie die chinesischen Kommunisten möglichst oft und öffentlich über Menschenrechte belehrt, verbessert sie die Lage der Uiguren kein Jota.

Die Aussenministerin schadet allenfalls den Anstrengungen, den Temperaturanstieg der Erdatmosphäre zu begrenzen. Denn hierfür ist man auf eine Allianz mit China, dem grössten Emittenten von Treibhausgasen, angewiesen.

In der Migrationspolitik entscheidet sich die Ampelkoalition auf Drängen der Grünen ebenfalls für den plakativen, pseudomoralischen Weg. So fördert die Bundesregierung eine kirchliche Organisation, die Flüchtlinge im Mittelmeer aus Seenot rettet.

Die Finanzierung solcher Schiffe beruht auf einer moralischen Regung. Aber wäre das nicht eher Aufgabe der Zivilgesellschaft? Die Regierung sollte auf eine einheitliche europäische Asylpolitik dringen, denn ohne eine gemeinsame Anstrengung der EU-Staaten bleiben alle humanitären Bemühungen Flickwerk. Indem die Koalition die Seenotretter subventioniert, verprellt sie Italien, das die Folgen der Hochherzigkeit aushalten muss. Um die Grünen zufriedenzustellen, trägt die «Ampel» das Ihre dazu bei, dass es nie eine europäische Migrationspolitik geben wird. Moralisch ist das nicht.

Die Verachtung für realpolitische Resultate, für die geduldige Suche nach Mehrheiten und jedes Kompromisslertum gehört zur Geschichte der Anti-Atom-Bewegung. Ein Teil der Grünen versteht sich seither als Avantgarde, welche die tumben Massen auf den Pfad der Erleuchtung führen muss. Nicht einmal der Ober-Realo Joschka Fischer konnte seiner Partei dieses Erbteil austreiben.

 

Lieber verliert eine grüne Verkehrssenatorin eine Wahl, als dass sie in Berlin auf die Teilsperrung der Friedrichstrasse oder in Bremen auf das Verbot des kostenlosen Kurzzeitparkierens verzichtet. Hauptsache, Applaus der eigenen Klientel. Da mögen die Autofahrer den Wahlzettel getrost zum Denkzettel umfunktionieren.

So werden die Grünen nie Kanzler

Die grüne Vorhut degradiert die Ehe zur «Verantwortungsgemeinschaft», nennt Deutsche «Kartoffeln» und Mütter «gebärende Personen». Das neue Ideal ist der nichtbinäre Mann mit Migrationshintergrund. Massstab der Politik ist nicht das grösste Glück der grössten Zahl, sondern die Befindlichkeit von sich immer weiter ausdifferenzierenden Minderheiten.

Die Geringschätzung von gesellschaftlicher Normalität ist an sich nicht amoralisch. Sie führt aber in eine Zerreissprobe, weil eine Demokratie dazu tendiert, als richtig zu betrachten, was der Allgemeinheit nützt. Die Grünen spüren das jetzt bis in die Klimapolitik, wo sie nicht akzeptieren wollen, dass die Mehrheit der Wähler die finanziellen Aspekte mindestens so sehr gewichtet wie die ökologischen.

 

 

 

 

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