Synthese von Marxismus und Psychoanalyse
Nach 1848 kritisierten Marx und Engels die bürgerliche und kapitalistische Gesellschaft und legten die Grundsteine für die Ausprägung des Sozialismus. Kaum ein Denker wurde so missverstanden wie Karl Marx. Und kaum eine Idee wurde so missbraucht wie die des Sozialismus.
“Nach dem Sieg über den Faschismus ist Fromm zufolge die Demokratie keineswegs gesichert: „Die Zukunft der Demokratie hängt ab von der Verwirklichung des Individualismus (…) Der Sieg der Freiheit ist nur dann möglich, wenn sich die Demokratie dahin entwickelt, dass in ihr das Ziel und der Zweck (…) das Individuum ist, sein Glück, sein Gedeihen (…).“ Eine solche Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung könne man als „demokratischen Sozialismus“ bezeichnen, aber „das Wort tut nichts zur Sache“.
Kein libidotheoretisches Fundament
Freud hielt sich hinsichtlich ethischer Überlegungen zurück und meinte etwa, das Moralische verstehe sich von selbst. Diese Haltung teilten bereits Alfred Adler und Carl Gustav Jung nicht. Fromm sieht in einer humanistischen Ethik die Grundlage jeder psychoanalytischen Praxis. In „Psychoanalyse und Ethik“ konstatiert er: „Der Mensch kann sich fast allen kulturellen Typen anpassen; stehen diese aber im Widerspruch zu seiner Natur, dann stellen sich geistige und emotionale Störungen ein, die ihn allmählich zwingen, diese Verhältnisse zu ändern, da er seine Natur nicht ändern kann.“ Bei unterschiedlicher Begrifflichkeit stimmt Fromms Charakterologie in vielem mit Freud überein, doch dessen libidotheoretisches Fundament teilt er nicht. Wie Sullivan argumentiert Fromm „interpersonell“: Charakter entsteht aus zwischenmenschlichen Beziehungen. Damit sind somatische Erscheinungen nicht Ursachen, sondern Folgen oder Nebenphänomene dieser Beziehungen. „Prägenitale“ Charaktere (nach Freud) nennt Fromm „unproduktiv“. Produktiv ist der Mensch ihm zufolge, wenn er liebes- und arbeitsfähig ist und gesellschaftlichen Zwängen widerstehen kann. Selbstgestaltung und -entfaltung werden damit zu zentralen Aufgaben menschlicher Existenz. Der Philosoph Baruch Spinoza (1632–77) hatte gesagt: „Glückseligkeit ist nicht der Lohn der Tugend, sondern die Tugend selbst.“ Fromm zufolge ist das „Erlebnis von Freude und Glück (…) nicht nur das Ergebnis eines produktiven Lebens, sondern auch dessen Stimulans.“
Aggression als „Möglichkeit“
1963 erscheint „Das sogenannte Böse. Zur Naturgeschichte der Aggression“ von Konrad Lorenz. Ähnlich wie Freud vertritt Lorenz einen angeborenen Aggressionstrieb und überträgt seine Ergebnisse aus der Tierforschung auf den Menschen. Damit werden Sadismen und Destruktivität, etwa während der nationalsozialistischen Diktatur, der menschlichen Natur zugeschrieben und als kaum verhinderbar angesehen. In seinem letzten großen Werk „Anatomie der menschlichen Destruktivität“ widerspricht Fromm. Er zählt Aggression zu den „Möglichkeiten“ des Menschen und arbeitet die Bedingungen heraus, unter denen sie besondere Ausprägung erfährt. Dabei unterscheidet er drei Arten: Defensive Aggression wehrt Angriffe ab und dient der Selbstbehauptung. „Bösartige Aggression“ unterteilt Fromm in „Sadismus“ und „Nekrophilie“. Hier wird das „ungelebte Leben“ zur Quelle von Menschen- und Lebensfeindlichkeit. In Analogie zu Freuds Gegensatzpaar Eros und Todestrieb stellt Fromm der Nekrophilie die „Biophilie“ entgegen (in „Die Seele des Menschen“ 1964). Eindrucksvolle Fallgeschichten illustrieren Sadismus am Beispiel Stalins und Himmlers sowie Nekrophilie am Beispiel Hitlers.
Fromms Themen – etwa Freiheit, Liebe, Destruktivität, autoritärer Charakter, Gruppennarzissmus, Lebenskunst – haben in verschiedenen Ländern zu einem regelrechten „Fromm-Boom“ (Rainer Funk) geführt. In Westeuropa, den USA und Lateinamerika inzwischen zwar abgeebbt, besteht anhaltendes Interesse an seinem Werk in China, Südkorea, Mittel- und Osteuropa sowie zunehmend in arabischen Ländern.
Info
Erich Fromms Beiträge zur Psychoanalyse, zur Religionspsychologie und zur Gesellschaftskritik haben ihn als einflussreichen Denker des 20. Jahrhunderts etabliert, auch wenn er in der akademischen Welt oft gering geschätzt wurde. Viele seiner Bücher wurden zu Bestsellern, insbesondere „Die Kunst des Liebens“ aus dem Jahre 1956 sowie „Haben oder Sein“ von 1976.