18. Juli 2018   Aktuell

1986 - Schob der Bundesgrenzschutz Helmstedt 400 Ausländer ohne Asylverfahren ab?

Beitrag: Roswitha Engelke

Quelle: Spiegel, v. 11.08.1986

ASYL Offensichtlich verfälscht

Beugt der Bundesgrenzschutz das Recht? Asylbewerber werden ohne korrekte Anhörung abgeschoben.

... Mehr als 400 Ausländer hat der Bundesgrenzschutz in Helmstedt allein im Juli  ohne förmliches Asylverfahren zuzurückgeschoben

Wurden dafür Angaben der Asylsuchenden  verändert, um  Abschiebegründe zu konstruieren?

Dazu der Fall Amad I., damals 24,

Er drohte, seinen zweijährigen Sohn von der Gangway zu werfen, wenn er gegen seinen Willen in die libanesische Heimat abgeschoben werde. In Beirut erwarte ihn der Tod, etwas Schlimmeres könne ihm hier auch nicht widerfahren. (Spiegel)

 

Mitte Juli 1986 war der Journalist vor der schiitischen "Amal"-Miliz aus dem Libanon geflohen.

Nach seiner Flucht aus Beirut über Ost-Berlin traf der asylsuchende Libanese in Helmstedt ein. Doch die Hoffnung, in der Bundesrepublik sicher unterzukommen, machten die Bundesgrenzschützer schon bei der Ankunft zunichte.

Nach erster Anhörung trafen sie eine kuriose Entscheidung: Die Frau durfte bleiben, der Mann sollte, streng nach Ausländergesetz, "zurückgeschoben" werden. Die Ehefrau fand sich mit dieser Verfügung nicht ab. Sie verlangte eine zweite Vernehmung ihres Mannes.

Der saß inzwischen schon im Gefängnis und wartete auf seine Abschiebung. Der Libanese erzählte, vor einem Haftrichter, seine Geschichte noch einmal. Die Übersetzung besorgte ein Dolmetscher. Der neue Bescheid fiel wie der alte aus: "Keine Asylgründe." I. hatte schon da den Verdacht: "Ich habe was gesagt, und der hat was ganz anderes übersetzt."

Seine Helmstedter Rechtsanwältin fand später in den Akten zwar nicht  Schilderung der Fluchtgründe, dafür aber eine "grenzpolizeiliche Niederschrift", in der - auf deutsch - steht, was der Mann eigenen Angaben zufolge nie gesagt hat: "Ich bin weder religiös noch politisch verfolgt." So derSpiegel.

Die Anwältin: "Da sind offensichtlich Aussagen verfälscht worden, um ein Asylbegehren niederzuschlagen."  Selbst Günther N., Leiter des Grenzschutzamtes in Braunschweig, gibt nachträglich zu, daß "bei einer Nachvernehmung Erkenntnisse aufgetaucht sind, die eine Rückschiebung unzulässig erscheinen lassen". Der grüne Landtagsabgeordnete Hannes K. nennt das, weniger amtlich, eine "Sauerei", und die Anwältin sieht im Verhalten der BGS-Beamten einen "Rechtsbruch".

Ausschlaggebend für die Vorgehensweise des Bundesgrenzschutzes Helmstedt war wahrscheinlich die damalige Situation in der Stadt Helmstedt als Durchgangslager für Asylbewerber.

In Obdachlosenunterkünften, in Turnhallen und Waisenhäusern, in den Fabrikationssälen pleitegegangener Firmen, im Gemeindehaus und nun auch in 33 Zelten auf dem Hartplatz des Helmstedter Turnklubs werden die Asylanten untergebracht, die Tag und Nacht am Bahnhof ankommen, manchmal bis zu zwei-, dreihundert Menschen in 24 Stunden. (Zeit.online, Archiv)

Die Stadt Helmstedt, das Auffanglager, waren damit sicher total überfordert. Aber das berechtigte den Bundesgrenzschutz Helmstedt 1986 nicht, Asylgründe zu verfälschen, um Flüchtlinge zurückschicken zu können, möglicherweise in den Tod.

Was der levantinischen Familie widerfuhr, kommt wahrlich einer gesetzeswidrigen Verweigerung des Asylgrundrechts gleich: Im Schnellverfahren entscheiden Grenzschützer nach Gutdünken, ob ein Eingereister einen "vernünftigen Asylantrag" gestellt hat. Wenn nicht, behandeln ihn die Grenzer wie einen "unerlaubt eingereisten Ausländer" (Ausländergesetz), der in Wochenfrist abgeschoben werden muß.

Ein Asylverfahren wird gar nicht erst eingeleitet. Einzige Voraussetzung, auf die BGS-Beamte achten müssen: Einen Asylgrund darf der Geflüchtete nicht haben. Deshalb, so berichten Betroffene, gebe sich der Grenzschutz große Mühe, solche Angaben zu überhören. (Spiegel 1986)

Alte Sünden werfen lange Schatten


Suche

 
 
 

Rosa Luxemburg Stiftung

 

Besucherzähler

Heute3
Gestern11
Woche39
Monat134
Insgesamt88047
 

Anmeldung