01. Mai 2019   Aktuell

Maikundgebung Helmstedt 2019 ... nein, ich war heute nicht dort ... respektive ja, ich habe die gewerkschaftliche Maifeier vor Ort ignoriert

Beitrag: Roswitha Engelke

Ich kann mich an gewerkschaftliche Maifeiern bis zu meinem 5. Lebensjahr zurückerinnern. Der Schloßplatz (Wolfenbüttel) war stets überfüllt. Es war sehr laut und es fielen harte Worte. Es ging um höhere Löhne, Verringerung der Wochenarbeitszeit, mehr Urlaub, Arbeitskampf und Streik und viele soziale Belange. Als Kind sagten mir die Begriffe nicht viel, aber sie mußten wichtig sein, weil eine große Masse von Menschen sehr emotional geladen darüber sprach und so blieben sie mir im Gedächtnis.

Ebenso sind mir etliche Streiks der 50iger Jahre in Erinnerung geblieben. Mein Vater, in der metallverarbeitenden Industrie tätig, übernachtete während der Streiks in der Firma. Meine Mutter brachte ihm Frühstück, Mittag- und Abendessen ans Werktor, wie viele andere Frauen. Ich weiß davon, weil ich in der Kinderkarre saß und das Kochgeschirr mit dem Essen hielt.

In Erinnerung an den 12. November 1948, waren die Streiks jener Jahre heftig und auch die Maikundgebungen der folgenden Jahre.

Da ich persönlich nur durch Erzählungen von diesem legendären Datum weiß, denn ich war zu diesem Zeitpunkt  noch nicht geboren, hier einige Auszüge aus der Promotion von Uwe Fuhrmann  »Die Entstehung der ›Sozialen Marktwirtschaft‹ 1948/49. Eine historische Dispositivanalyse« ist 2017 beim Verlag UVK erschienen. (Siehe auch Neues Deutschland)

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Was war am 12. November 1948? Am 12. November 1948, das war ein Freitag, hat in der damaligen Bizone, also dem Teil Deutschlands, der nach dem Zweiten Weltkrieg der US-amerikanischen und der britischen Besatzungsmacht unterstellt war, ein Generalstreik stattgefunden. An diesem Generalstreik haben sich etwa neun von zwölf Millionen Beschäftigten beteiligt.

Was war vorausgegangen?

Am 20. Juni 1948 war eine Währungsreform in Kraft getreten, die mit einer Abwertung der Sparguthaben einherging.

Die Löhne wurden nicht erhöht, sie waren gesetzlich eingefroren.

Gleichzeitig gab es eine handstreichartige Freigabe der Preise, die erst im Nachhinein gesetzlich sanktioniert wurde.

Aber konkret vor Ort wurden am 21. Juni 1948 für fast alle Warengruppen Preise gefordert, die wesentlich höher lagen als das Lohnniveau und auch als das Preisniveau zuvor. Die Währungsreform war also so gestaltet, dass sie erhebliche soziale Ungerechtigkeiten nach sich zog. Das führte zu ersten Spontanreaktionen. Die waren vor allem auf Wochenmärkten zu beobachten.

Es folgten größere lokale Demonstrationen. Dann wurde eine Gewerkschaftskampagne initiiert: »Herunter mit den Preisen«. Das war vor Ort lokal zeitlich begrenzt erfolgreich, nicht aber strukturell.

Dann folgten Mitte und Ende Oktober riesige regionale Demonstrationen, vor allem in Mannheim, Bremen und Stuttgart. Daraufhin und unter internem Druck, haben die Gewerkschaftsbünde den Generalstreik beschlossen. Und der war dann wie gesagt an einem Freitag, dem 12. November, begrenzt auf einen Tag. Er war als Arbeitsruhe konzipiert, die Gewerkschaften haben ihren Gliederungen vorgegeben, dass es weder Streikposten noch Kundgebungen noch Demonstrationen geben durfte.

Es ist im Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit verankert, dass es in Deutschland keine Generalstreiks gibt. Das hängt auch mit dem Streikrecht zusammen, unter anderem damit, dass anders als in anderen Ländern politische Streiks verboten sind.

Wie war das denn 1948?

Rechtliche Überlegungen haben kaum eine Rolle gespielt. Ich würde das aber als einen sehr politischen Streik einschätzen, weil es in den Streikforderungen nicht nur um konkrete Maßnahmen zur Preisherabsetzung ging, sondern auch um die Inkraftsetzung von Mitbestimmungsgesetzen. Es ging auch um wirtschaftsdemokratische Forderungen und um die Sozialisierung großer Industrien. Und das sind ganz klar politische Forderungen. (Uwe Fuhrmann)

Die heutige Lebenssituation ist kaum anders. In der BRD wird die Drohung HARTZ IV genutzt, um Arbeitnehmer "bei der Stange" zu halten. Das heißt, "ora et labora". Bete, damit dein Arbeitsplatz nicht wegrationalisiert oder ausgesourct wird und arbeite ohne aufzubegehren, sonst wirst du entlassen. Der soziale Wohnungsbau liegt am Boden, Tarifverträge sind "Schnee von gestern", der Arbeitsplatz "im Ort" ist Geschichte. Mieten werden unbezahlbar, Energiekosten steigen, selbst das Wasser soll privatisiert werden, vom Solidarprinzip der Sozialversicherung ist kaum noch etwas übrig.

Und, was tun die Gewerkschaften? Sie begehen den Maifeiertag, ein Bürgermeister, vielleicht  noch von der CDU, spricht nette Worte, ein Gewerkschaftsmitglied redet über Verbesserungen im Lohnsektor. Nach dem Motto: "... schön, das man mal drüber gesprochen hat ..." Applaus ... dann wird zu Bratwurst und Bier übergegangen. Darum gehe ich vor Ort nicht mehr zu Maikundgebungen ...

Mit diesem Beitrag habe ich mir höchstwahrscheinlich bis in die Steinzeit und zurück samtliche Sympatien von Gewerkschaftmitgliedern verscherzt. Aus meiner Sicht mußte jedoch einfach mal gesagt werden, dass die Gewerkschaften nicht mehr das sind, was sie mal waren, es fehlt ihnen einfach der Biss! ...  das ist nicht bloß schade sondern eine Katastrophe!

Wenn jemand auf die Straße geht und laut wird gegen soziale Missstände, sich Wasserwerfern aussetzt und Tränengas, sind das in Deutschland Sozialisten, Kommunisten oder demokratisch orientierte Bürger ... zum Dank dafür werden sie als Extreme beschimpft oder gar des Terrors verdächtigt ...

 

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