25. Oktober 2020   Aktuell

Niedersachsen: Wo kann man hier noch günstig wohnen?

...  Immer mehr Menschen rutschen in den Bedarf für Sozialwohnungen – doch davon gibt es in Niedersachsen immer weniger. 

 

„Nach dem Ende der DDR musste sich der Kapitalismus nicht mehr zügeln, es gab ja keine Alternative mehr. Damals begann die große Privatisierungswelle. Die Auswirkungen erleben wir jetzt.“ (Das behauptet eine Leserin auf unser Facebook-Seite)>  

Zum Thema recherchierte Nele Behrens. Sie sprach unter andem mit dem Bundestagsabgeordneten der LINKEN, Victor Perli.

Knapp drei Millionen staatlich geförderte Wohnungen gab es 1990 in Deutschland, heute bleiben den Menschen mit einem geringen Einkommen nur noch etwa 1,1 Millionen.

Auch in unserer Region fehlt es an bezahlbarem und vor allem auch zumutbaren Wohnraum für Geringverdiener.

Es ist ein vor langer Zeit eingeleiteter Prozess: Günstiger, geförderter Wohnraum wird zu wenig neu gebaut und die alten geförderten Wohnungen fallen aus der Preisbindung – in der Folge müssen Geringverdiener mehr von ihrem Einkommen für die Miete ausgeben.

Auch die Landkreise Wolfenbüttel/Gifhorn verzeichnen immer weniger bedarfsgebundenen Wohnraum.

Dieser Trend gilt für ganz Niedersachsen: Rund 28.000 gebundene Wohnungen – also solche, mit gedeckelten Mieten – sind in den vergangenen fünf Jahren vom niedersächsischen Immobilienmarkt verschwunden.

„Ohne weitere Mietwohnraumförderung würde der Bestand bis Ende 2025 in ähnlicher Größenordnung weiter abschmelzen“, warnt Bernd Pütz, Pressesprecher der N-Bank. Diese stellt die Fördermittel, mit denen neue Projekte für geförderten Wohnraum finanziert werden, zur Verfügung.

Victor Perli ist seit drei Jahren für Die Linke im Deutschen Bundestag. Perli meint: „Im bundesweiten Vergleich wird nur jede 20. Sozialwohnung in Niedersachsen errichtet und fordert: Notwendig ist eine soziale Wohnraumoffensive, damit es wieder mehr bezahlbaren Wohnraum gibt“.

Die N-Bank-Studie „Zukunftsfähige Wohnungsmärkte“ aus dem vergangenen Jahr zeigt ebenfalls auf, wie weit der Wohnungsmarkt dem Bedarf hinterherhinkt.

Zwischen 2017 und 2025 müssten allein in Braunschweig pro Jahr 770 Wohnungen in Mehrparteienhäusern gebaut werden. Die Realität sieht anders aus. Nach Angaben des Landesamtes für Statistik Niedersachsenwurden 880 Wohnungen in Braunschweig gebaut – allerdings in drei Jahren, von 2017 bis 2019.
Die Folge sind im Durchschnitt steigende Mieten 2019 mussten Braunschweiger 36 Prozent mehr bei einer Neuvermietung zahlen. In Wolfsburg haben sich die Preise im gleichen Zeitraum mit einer Steigerung von 47 Prozent sogar fast verdoppelt. Gleichzeitig steigt die Anzahl der Bedürftigen immer weiter: Laut der Erhebung der N-Bank ist die Zahl der Menschen, die aufgrund eines geringen Einkommens auf soziale Unterstützung angewiesen sind, von 2012 bis 2017 gestiegen. Immer mehr Menschen erfüllen die formalen Bedingungen für staatliche Wohnhilfe wie etwa den Wohnberechtigungsschein. v> Die Einkommensgrenze liegt dafür bei 25.285 Euro im Jahr als alleinstehender Angestellter. Ein Großteil der Singlehaushalte liegt nicht über dieser Grenze, wie das Landesamt für Statistik Niedersachsen für unsere Zeitung errechnete. 50,7 Prozent der Alleinstehenden fallen darunter – der größte Teil der Menschen in unserer Region lebt in Einpersonenhaushalten, nach Angaben des Bundesamtes ist jeder dritte Alleinstehende Rentner. Für diese Gruppe zählt eine geringere Einkommensgrenze.

Genug Wohnungen gibt es für die große Anzahl an Geringverdienern nicht. Gerade einmal 25 Wohnungen, für die ein Wohnberechtigungsschein nötig ist, werden aktuell auf dem Immobilienportal „Immobilienscout24“ in unserer Region zur Neuvermietung angeboten.

In der gesamten Region gibt es zusammengerechnet nur 6612 Sozialwohnungen.

„Für weit über 80 Prozent der Förderberechtigten – Familien und Alleinerziehende – ist das verfügbare Potenzial an gefördertem Wohnraum seit Beginn des Jahrtausends extrem zurückgegangen und wird weiter sinken, während sie sich für die restlichen 20 Prozent der Senioren auch längerfristig als gut darstellt“, analysiert die Stadt Wolfenbüttel in ihrem Handlungspapier. Das zeigt auch das Angebot: Ein Fünftel der aktuell zu vermietenden B-Schein-Wohnungen in unserer Region sind Bewohnern vorbehalten, die 60 Jahre und älter sind. Städte wollen gegenlenken 
Einige Städte der Region haben das Problem erkannt und versuchen, mit kommunalen Maßnahmen gegenzusteuern. „Investoren für geförderten Wohnungsbau erhalten von der Stadt einen Nachlass von bis zu 40 Prozent auf den Bodenrichtwert“, teilt etwa Ralf Schmidt von der Pressestelle der Stadt Wolfsburg auf Anfrage mit. Der Rabatt sei dabei auch abhängig von der Anzahl der geplanten Sozialwohnungen. Zudem müsste ab dem Bau von 100 Wohnungen eine Sozialwohnungsquote von 25 Prozent eingehalten werden. In Wolfenbüttel förderte die Stadt Neubauprojekte mit einer Quote von 33 Prozent Sozialbau. Mit ähnlichen Quoten arbeitet auch die Stadt Braunschweig: Im Handlungskonzept ist ein Anteil von 20 Prozent festgelegt. Im internationalen Vergleich sieht Deutschland schnell schwach aus, erklärt Bundestagsabgeordneter Perli:   „62 Prozent aller Wiener zum Beispiel leben in einer Wohnung mit gedeckelter Miete“, sagt er.   „Es braucht eine Stärkung der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften. Nur öffentlicher Wohnungsbau kann dauerhaft bezahlbaren Wohnraum schaffen“, ist Perli überzeugt. In der Region treten Wohnungsbaugesellschaften bereits als Akteure für neue Wohnprojekte auf. So gibt die Nibelungen an, im Nördlichen Ringgebiet Braunschweigs weitere 70 Sozialwohnungen zu bauen und auch die Wiederaufbau schafft an den Braunschweiger Gärtnerhöfen für diesen Bedarf neuen Wohnraum. Die Durchschnittsmiete liegt bei den Gesellschaften knapp zwei Euro unter dem Durchschnitt der Stadt – auch für Wohnungen ohne Sozialbindung. Der Bedarf wird laut Daten der N-Bank bleiben: Zwar wird unsere Region bis 2040 voraussichtlich 4 Prozentpunkte an Einwohnern verlieren, die Zahl der Haushalte wird aber aufgrund steigender Singlehaushalte gleich bleiben – das bedeutet: Wohnungen werden auch in Zukunft dringend gebraucht.

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