17. Januar 2021   Aktuell

Warum ist Freiheit immer Freiheit der Andersdenkenden?

Immanuel Kants Postulat, dass die Freiheit des Einzelnen an der Freiheit des anderen endet, bildete den Ausgangspunkt für Rosa Luxemburgs Freiheitsverständnis. Freiheit als Privileg sei keine Freiheit, sondern nur das Verharren in einem goldenen Käfig.

Gesellschaftliche Veränderungen konnten sich für Rosa Luxemburg am schnellsten in vollständiger Freiheit, vor allem in Revolutionen, vollziehen. Unumkehrbar werden Veränderungen, wenn die unterliegende Seite erst dann kapituliert, nachdem sie alle Potenzen ausgeschöpft hat und in völliger Freiheit untergeht.

Den meisten linken Politikern hatte Rosa Luxemburg die Einsicht voraus, dass die Freiheit der Andersdenkenden eine emanzipatorische Politik überhaupt erst ermöglicht:

»Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der  ›Gerechtigkeit‹, sondern weil all das Belebende, Heilsame und  Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die  ›Freiheit«  zum Privilegium wird.« [1]

Eine Emanzipation mit antiemanzipatorischen Mitteln und Methoden anzustreben, also das leninistische Politikkonzept, hätte für Rosa Luxemburg eine Aufgabe ihres politischen Ansatzes bedeutet. Unterdrückung lässt sich nicht durch Unterdrückung abschaffen.

Luxemburg unterschied politische und soziale Freiheiten.

Die politischen Freiheiten begannen mit der Freiheit des Eigentums, ohne die eine kapitalistische Marktwirtschaft nicht lebensfähig ist. Diese Freiheit war das zentrale Ziel des einstigen revolutionären Bürgertums gewesen und hatte einen ersten Schutz vor der Willkür des Staates geboten, abgesichert durch einen Rechtsstaat. Es folgten die Unversehrtheit der Person, Meinungs-, Rede- und Pressefreiheit, das Wahlrecht einschließlich des Schutzes der in Wahlen Unterlegenen, die Versammlungsfreiheit, die Freiheit, sich zu organisieren, das Briefgeheimnis, die Unantastbarkeit der Wohnung, das Telefongeheimnis. Diese Freiheiten, die heute zum nicht antastbaren Kernbestand des Grundgesetzes der Bundesrepublik gehören (Art. 1 und 20 GG), waren schon für Rosa Luxemburg nicht verhandelbar.

Sozialismus war für sie nichts anderes als die Ergänzung der politischen Freiheiten um die soziale Freiheit von Ausbeutung und allen Formen der Abhängigkeit. (Der von den Bolschewiki praktizierte »Sozialismus« stellte das Gegenteil dar. Das machte Rosa Luxemburg für sie so gefährlich.)

Rosa Luxemburg war klar: Nur durch das Austragen der Gegensätze kann der »Rest der Gesellschaft« der eigenen Unterdrückung und Ausbeutung gewahr werden und sich so von der Herrschaft über die eigenen Köpfe befreien. Paul Levi, einer ihrer Partner, hat das nach ihrer Ermordung so formuliert:

„Sie wusste den Kampf als Kampf, den Krieg als Krieg, den Bürgerkrieg als Bürgerkrieg zu führen. Aber sie konnte sich den Bürgerkrieg nur vorstellen als ein freies Spiel der Kräfte, in dem selbst die Bourgeoisie nicht durch Polizeimaßnahmen in die Kellerlöcher verbannt wird, weil nur im offenen Kampf der Massen diese wachsen, sie die Größe und Schwere ihres Kampfes erkennen konnten. Sie wollte die Vernichtung der Bourgeoisie durch öden Terrorismus, durch das eintönige Geschäft des Henkens ebensowenig, als der Jäger das Raubzeug in seinem Walde vernichten will. Im Kampf mit diesem soll das Wild stärker und größer werden. Für sie war die Vernichtung der Bourgeoisie, die auch sie wollte, das Ergebnis der sozialen Umschichtung, die die Revolution bedeutet.” [2]

Rosa Luxemburg war tief davon überzeugt, dass alles Künstliche, alle »von oben« geschaffenen Verhältnisse in die Diktatur einer Minderheit und damit in eine Terrorherrschaft münden. Die Geschichte des Sozialismus des 20. Jahrhunderts hat das blutig bestätigt.

Fußnoten

1 Rosa Luxemburg: Zur russischen Revolution, in: dies.: Gesammelte Werke, Bd. 4, Berlin 1974, S. 359.
2 Paul Levi: Einleitung zu »Die Russische Revolution. Eine kritische Würdigung. Aus dem Nachlass von Rosa Luxemburg«, in: ders.: Ohne einen Tropfen Lakaienblut. Schriften, Reden, Briefe, hrsg. von Jörn Schütrumpf, Band I/4: Spartakus: Abschied ohne Ankunft, 1921/22, Berlin 2020, S. 1035.

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