08. September 2021   Aktuell

Covid - der Wettstreit der Virusvarianten

Quelle: Pharmazeutische Zeitung

Chronische Infektion - Wie SARS-CoV-2 mutiert – und weiter mutieren könnte

Erstmals haben Forscher bei einem Patienten nachvollzogen, wie eine bestimmte Mutation des Coronavirus SARS-CoV-2 entstand, die typisch für die englische Variante B.1.1.7 ist. Der Fall des immungeschwächten, chronisch infizierten Patienten zeigt auch, wie das Virus weiter mutieren könnte.

Dass bei den vielen Milliarden Kopiervorgängen der Virusreplikation hin und wieder Fehler passieren, also Mutationen entstehen, ist ganz normal. Bei Coronaviren ist die Mutationsrate im Vergleich zu anderen Viren relativ gering, weil sie mit der RNA-abhängigen RNA-Polymerase über einen eingebauten Kontrollmechanismus verfügen. Dennoch sind zuletzt mehrere beunruhigende Varianten von SARS-CoV-2 aufgetaucht, darunter die britische B.1.1.7 und die südafrikanische B.1.351, die sich durch eine höhere Infektiosität und auch einen Immun-Escape auszeichnen. Das bedeutet, dass eine durch eine überstandene Infektion oder vollständige Impfung erworbene Immunität gegenüber dem nicht mutierten Virus vor den Varianten nur teilweise schützt.

Wo kommen solche Mutanten her? Forscher vermuten, dass zumindest die englische Variante B.1.1.7 in einem immungeschwächten Patienten entstanden sein könnte. Ist die Immunabwehr defekt, können Virusinfektionen chronisch werden und das Virus hat sehr lange Zeit, sich zu verändern. Wird zudem durch Medikamente Druck auf das Virus ausgeübt, weicht es diesem aus und bestimmte robuste Mutanten setzen sich durch. Soweit die Theorie.

Sie findet ihre Bestätigung in einem Fallbericht, den Forscher um Dr. Stephen A. Kemp vom University College London jetzt zunächst als Preprint auf der Website von »Nature« veröffentlichten. Geschildert wird der Verlauf eines über 70-jährigen Mannes, der aufgrund eines B-Zell-Lymphoms eine Chemotherapie erhalten hatte und infolgedessen schwer immungeschwächt war, als er sich kurz darauf mit SARS-CoV-2 infizierte und an Covid-19 erkrankte. Der Patient wurde ins Krankenhaus eingeliefert und dort mehr als drei Monate lang behandelt.

Währenddessen erhielt er Remdesivir und später zusätzlich auch Rekonvaleszenten-Plasma, worauf sich sein Zustand zunächst besserte, dann aber weiter verschlechterte. Zuletzt musste der Patient auf die Intensivstation verlegt werden, wo er schließlich verstarb.

Anhand der Sequenzierung von insgesamt 23 Proben, die in einem Zeitraum von 101 Tagen vorwiegend aus dem Nasen-Rachenraum des Patienten gewonnen wurden, konnten die Forscher nachvollziehen, welche genetischen Veränderungen das Coronavirus durchlief. Zwischen Tag 66 und 82, nach den ersten beiden Gaben des Rekonvaleszenten-Plasmas, ereigneten sich mehrere Mutationen. So entstand auch eine dominante Variante, der im Spike-Protein die Aminosäuren an den Positionen 69 und 70 fehlten (ΔH69/ΔV70) – eine Deletion, die auch bei der britischen Variante B.1.1.7 vorliegt – und die gleichzeitig ebenfalls im Spike-Protein die neue Mutation D796H aufwies. Als die Antikörper, die der Patient mit dem Rekonvaleszenten-Plasma erhalten hatte, weniger wurden, nahm auch diese Variante ab; sie kehrte jedoch zurück, als erneut Rekonvaleszenten-Plasma verabreicht wurde.

Wettstreit der Virusvarianten

Studienleiter Professor Dr. Ravindra Gupta von der Universität Cambridge beschreibt die Beobachtungen so: »Was wir sahen, war im Grunde genommen ein Wettstreit zwischen verschiedenen Virusvarianten, und wir nehmen an, dass dieser durch die Therapie mit Rekonvaleszenten-Plasma angetrieben wurde.«

In-vitro-Tests zeigten, dass D796H die Escape-Mutation war, die das Virus weniger anfällig für die Antikörper im Plasma machte. Gleichzeitig senkte sie jedoch die Infektiosität – ein evolutionärer Nachteil, der allerdings durch die ΔH69/ΔV70-Deletionen wettgemacht wurde. Sie allein machten das Virus zweimal so ansteckend wie den Wildtyp. Dass kompensatorische Mutationen direkt auf Escape-Mutationen folgen oder auch gleichzeitig mit ihnen aufträten, sei ein typisches Muster bei Virusmutationen, heißt es in einer Pressemitteilung der Universität Cambridge.

»In Anbetracht der Tatsache, dass sowohl Impfstoffe als auch Therapeutika auf das Spike-Protein abzielen, dessen Mutation wir bei unserem Patienten beobachtet haben, wirft unsere Studie die beunruhigende Möglichkeit auf, dass das Virus sich durch Mutation unseren Impfstoffen entziehen könnte«, so Gupta. Bei Menschen mit funktionierendem Immunsystem sei dies unwahrscheinlich, da bei ihnen die virale Vielfalt geringer sei. Die Beobachtung unterstreiche jedoch, dass man bei der Therapie von Patienten mit Immunschwäche besondere Sorgfalt walten lassen müsse, da das Virus bei ihnen aufgrund der längeren Verweildauer besser mutieren könne.

 

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