Die Ich-AG - arbeiten unterhalb des Mindestlohnes - keine soziale Absicherung - kein Kündigungsschutz
Quelle: Sahra Wagenknecht, Auszug aus dem Buch: Die Selbsgerechten, Seite 94 ff
Der neue Held: eigennützig, mobil, flexibel
Das Streben nach Sicherheit gilt ohnehin als Unart notorischer Besitzstandsbewahrer, gefragt sind stattdessen Risikobereitschaft, Flexibilität und Mobilität. Statt sich in einem Normalarbeitsverhältnis "auszuruhen", das es ohnehin immer seltener gab, sollte jeder zum Arbeitskraftunternehmer werden, zur Ich-AG, was in der Regel natürlich nur bedeutete, unterhalb von Mindeslöhnen und ohne soziale Absicherung zu arbeiten.
Der Wunsch nach Planbarkeit des Lebens oder einem stabilen, berechenbaren Umfeld wurde als altes Anspruchsdenken abgekanuelt, das die dringend nötige Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft behindert. Nahezu alle Werte, die in der Arbeiterschaft und den früheren Mittelschichten hochgehalten wurden, galten jetzt als muffig und überholt.
Der Held der neuen Zeit war stark, eigennützig, erfolgreich, risikofreudig, mobil und flexibel. Wer reich wurde hatte alles richtig gemacht, wer sozial abstürzte hatte selber schuld. Aus der Gesellschaft als Gemeinschaftsprojekt war eine Assoziation von Egoisten geworden, denen alles erlaubt war, was das Gesetz nicht ausdrücklich untersagte.
Es ist offenkundig, dass diese Erzählung auch traditionell bürgerlich-konservativen Werten widerspricht. Die Mobilität und Flexibilität kollidieren mit dem Anspruch, eine stabile Familie zu gründen, ebenso wie mit Heimatverbundenheit und lokaler Verwurzelung. Auch für religiösen Glauben, die Wertschätzung von Tradition, bildungsbürgerlichen Humanismus oder den Bezugsrahmen einer Nation war in der neuen Erzählung kein Raum mehr. (...) -