02. Oktober 2021   Aktuell

Nukleare Kriegsgefahr: Deutschland auf dem Opferaltar

Siehe zu diesem Thema einen Beitrag aus 2016

Quelle: Frankfurter Rundschau

Die Atomwaffen der USA stellen für Deutschland eine Gefahr dar. Aber über ihren Einsatz entscheiden andere. Sie müssen abgezogen werden.

Autor:
Sascha Hach ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut HSFK im Bereich Sicherheitspolitik und Projektleiter der Nuclear Free Future Foundation.

Das renommierte Friedensforschungsinstitut Sipri in Stockholm warnt vor einer fortscheitenden nuklearen Aufrüstung und Senkung der Hemmschwelle für den Einsatz von Nuklearwaffen. Im Juni machte Russland seine neue Nukleardoktrin publik und behält sich darin vor, auf einen konventionellen Angriff auf kritische politische oder militärische Infrastruktur mit einem nuklearen Erstschlag zu antworten. Noch deutlicher ist die offizielle Positionsbestimmung („Nuclear Posture“) der USA von 2018, in der sich Washington nach langer Zeit der Zurückhaltung wieder die Option zu einer regional begrenzten Nuklearkriegsführung im Falle einer konventionellen Aggression offenhält.

Diese Entwicklung der US-amerikanischen und russischen Verteidigungs- und Nuklearpolitik, bei der die Terrorismusbekämpfung zunehmend dem Leitmotiv der Rivalität der Großmächte weicht, ist keine rein rhetorische. Beide Staaten haben in den vergangenen Jahren ihre militärischen Fähigkeiten für ein solches Szenario verbessert und zum Teil bereits erprobt.

Im Vordergrund steht dabei die Möglichkeit, einen nuklearen Stellvertreterkrieg für die hegemoniale Auseinandersetzung in Europa (beziehungsweise für die USA auch im asiatisch-pazifischen Raum) führen zu können, der nicht auf die globale Ebene überspringt und eigenes Territorium berührt – was für Russland schwieriger zu gewährleisten ist als für die USA.

Daher konzentrieren sich die beiden größten Nuklearmächte auf die sogenannten substrategischen Fähigkeiten: Nuklearwaffen, die im Gegensatz zu den gewaltigen Sprengköpfen auf Interkontinentalraketen geringere Zerstörungskraft haben und in der Regel über kürzere Strecken verbracht werden. Auf den ersten Blick erinnert dies an die Strategie der Nato im Kalten Krieg, mit der sie in der Lage sein wollte, auf eine massive konventionelle Offensive der Sowjetunion und der Warschauer-Pakt-Staaten nuklear zu reagieren und den Verlust Westeuropas abzuwenden.

 

Schon damals war Deutschland besorgt, im Konfliktfall keinen entscheidenden Einfluss ausüben zu können, sah aber im Prinzip der „Nuklearen Teilhabe“, wie es bei der Nato festgeschrieben ist, eine Möglichkeit zur Mitsprache. Heute ist kaum gewährleistet, dass die USA die Europäer im Rahmen der „Nuklearen Teilhabe“ einbinden würden, sollten sie einen substrategischen Nuklearwaffeneinsatz auf europäischem Gefechtsfeld durchführen wollen.

Hierzu könnte nunmehr auf Sprengköpfe vom Typ W 76-2 zurückgegriffen werden, die von US-U-Booten im Atlantik mit ballistischen Raketen den europäischen Teil Russlands erreichen könnten. Auch Russland hat sich inzwischen für eine solche Situation gewappnet und verfügt mutmaßlich sowohl über bodengestützte Marschflugkörper mittlerer Reichweite als auch über konventionell wie nuklear bestückbare seegestützte Systeme im Kaspischen Meer, die ins Bündnisgebiet hineinreichen.

Wie wahrscheinlich eine nukleare Eskalation zwischen den USA und Russland zulasten Europas ist, ist ungewiss. Sicher ist aber, dass hierbei die in Deutschland und anderen Teilhabestaaten stationierten Nuklearwaffen operativ kaum eine Rolle spielen würden und somit im Ernstfall auch keinen Kontrollgewinn mehr bringen.

Sowohl die für deren Einsatz vorgesehenen Tornados als auch die diskutierten Nachfolgemodelle, die US-Kampfjets F 18 und F 35, könnten nur schwer außerhalb des Bündnisgebietes eingesetzt werden und wären durch die russische Luftabwehr leicht verwundbar. Die Stationierungsorte der Nuklearen Teilhabe bieten Russland jedoch leichte und dankbare Angriffsziele. Somit schaden diese Waffen vor allem den Teilhabestaaten selbst, die als Zielscheibe um ihren Bonus der Mitsprache gebracht wurden.

Die USA und Russland haben in den vergangenen Jahren völkerrechtliche Schranken ihrer militärischen Handlungsfähigkeit beseitigt. Die Aufgabe des ABM-Vertrages zur begrenzten Raketenabwehr durch die USA, das von Russland und der Nato aufgelöste KSE-Regime für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die Außerkraftsetzung des INF-Vertrages über Mittelstreckenraketen oder die jüngste Ankündigung Trumps, den Vertrag über den Offenen Himmel zu kündigen – all dies führte zur Demontage der rüstungskontrollpolitisch abgesicherten Friedensordnung in Europa.

Es ist Zeit, dass Deutschland mit Blick auf die Nukleare Teilhabe dieser bedrohlichen Entwicklung der Nukleardoktrinen, der operativen militärischen Fähigkeiten und des veränderten rüstungskontrollpolitischen Kontextes Rechnung trägt und den Abzug der Nuklearwaffen veranlasst. Sie bringen Europa keinen Einflussvorteil, sondern versetzen es in eine Gefahrenzone. Die Europäer sollten sich nicht weiter auf einen Opferaltar der schwelenden Hegemonialkonflikte legen.

Der Autor Sascha Hach ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut HSFK im Bereich Sicherheitspolitik und Projektleiter der Nuclear Free Future Foundation.

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