Zäsur für die Gewaltenteilung in Israel - Abschaffung der Angemessenheitsklausel in Israel
Quelle: Newsletter der Rosa-Luxemburg-Stiftung Israel
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freund:innen der Rosa-Luxemburg-Stiftung Israel,
viel ist den vergangenen Monaten über die Krise der israelischen Demokratie geschrieben und gesprochen worden. Seit Jahresbeginn arbeitet die rechtsautoritäre, ja in Teilen rechtsradikale Regierung Netanjahu (bei der viele zweifeln, ob er wirklich noch die Zügel in der Hand hat), an der Abschaffung der letzten Pfeiler der ohnehin sehr fragilen israelischen Demokratie.
In der vergangenen Woche ist schließlich das erste Gesetz zur radikalen Schwächung des israelischen Obersten Gerichts, dem einzigen Organ, welches Regierungsentscheidungen im Zweifel kippen kann, unter Protest von Hunderttausenden auf der Straße sowie unter Boykott der oppositionellen Fraktionen, in der Knesset verabschiedet worden. Die Abschwächung bzw. Abschaffung der „Angemessenheitsklausel“, mit der Oberste Richter bedeutet zweifellos eine Zäsur für die Gewaltenteilung in Israel. Gleichzeitig ist dieses erste Gesetz lediglich Teil eines größer angelegten Vorhabens der Regierung zur Aushöhlung der Justiz. Worum es bei dieser sog. „Justizreform“ eigentlich geht, können Sie in unserer Broschüre in prägnanter Form nachlesen.
Im liberalen Lager Israels wird nun vom Sieg einer korrupten Regierung gesprochen, die all das abschaffen wolle, was die israelische Demokratie ausmache. Und doch ist diese Entwicklung keineswegs vom Himmel gefallen, sondern Ausdruck einer andauernden Hegemonie der politischen Rechten, an denen Teile der jetzigen Protestbewegung bis zuletzt ihren Anteil hatten. Dies erklärt auch die Zurückhaltung der palästinensischen Staatsbürger:innen Israels an den Demonstrationen.
Wie wir aus anderen Beispielen wissen, treffen die Auswirkungen der Abschaffung von Gewaltenteilung zuerst die Minderheiten im Land sowie marginalisierten Gruppen. Während also viele Teile der aschkenasisch-mittelständisch geprägten Protestbewegung in Israel nun (vielleicht zum ersten Mal) die Unverhältnismäßigkeit der Staatsgewalt zu spüren bekommen, leidet etwa palästinensische Bevölkerung Israels unter einer bisher noch nie dagewesenen Welle der Gewalt, ohne dass die israelischen Sicherheitskräfte dagegen intervenieren. Doch ob mehr Sicherheitskräfte das Problem lösen, ist zweifelhaft, schreibt Amjad Iraqi in seinem Beitrag, während unsere Projektmanagerin Sana Ibn-Bari sich detailliert mit den Plänen für die Errichtung einer Bürgermiliz auseinandersetzt. Wie der Diskurs um „Stärke“ und „Sicherheit“ mit dem Wieder-Erstarken des Kahanismus in Israel und seiner politischen Vertreter:innen zusammenhängt, zeigt der sehr erhellende Beitrag von Rafi Reznik.
Warum sich der IT- und Hightech-Sektor so aktiv an den Protesten für den Erhalt der Demokratie der Start-Up-Nation einsetzt, erklärt Matan Kaminer.
Das Israel-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung beobachtet die teils dramatischen Entwicklungen sehr genau. Wir sind mit unseren Partnerinnen und Partnern in engem Austausch und wollen ihre Sicht der Dinge in den deutschsprachigen Diskurs zur Region speisen. Schließlich sind es die progressiven Akteur:innen vor Ort selbst, die die besten Lösungsansätze für ihre jeweiligen politischen Kontexte haben. Wir laden Sie daher herzlich ein, uns auf Twitter und Facebook zu folgen, um deren Perspektiven auf die aktuelle Situation in deutscher Sprache zu erhalten. Vor allem aber laden wir Sie dazu ein, unsere Website www.rosalux.org.il regelmäßig aufzurufen und weiterzuempfehlen. Im Folgenden finden Sie eine Auswahl weiterer Beiträge auf unserer Plattform aus den letzten Monaten.
Solidarische Grüße und eine informative Lektüre aus dem politisch und meteorologisch heißen Tel Aviv sendet
Ihr Gil Shohat
Büroleiter Rosa-Luxemburg-Stiftung Israel
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