Soziales
SG Stralsund: Auch im Eilverfahren kann ein höherer KdU Anspruch geltend gemacht werden
Beitrag: Harld Thomé
Das gilt dann, wenn die bewilligte Miete unter dem realistisch ermittelten Angemessenheitswert liegt.
RA Niclas Sander kommentiert einen Beschluss des SG Stralsund vom 09.09.2025 – S 5 SO 58/25 ER. Das Gericht führt aus: Werden vom Sozialleistungsträger unrealistische KdU-Werte festgesetzt und wird dies im Eilverfahren glaubhaft gemacht, können auch im Eilverfahren höhere Angemessenheitswerte nach dem WoGG berücksichtigt werden.Die Berechnung hat dann systematisch in der Reihenfolge „Tabellenwert + Klimakomponente + 10 % Sicherheitszuschlag“ zu erfolgen.
Weitere Infos: https://t1p.de/i48ga
Rundfunkbeitrag – GEZ – Befreiung (rückwirkend 3 Jahre)
Beitrag: Harald Thomé
Seit 2016 kann die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht maximal drei Jahre rückwirkend ab Antragstellung erfolgen. In der Szene geistert aber noch herum, eine Rückwirkung sei nicht möglich. So schreibt es auch die Verbraucherzentrale: https://t1p.de/6w5e6
„Wird der Antrag erst später gestellt, beginnt die Befreiung mit dem Ersten des Monats, in dem der Antrag gestellt wird. Eine rückwirkende Befreiung ist dann nicht mehr möglich, auch wenn die Befreiungsvoraussetzungen erfüllt waren.“
ABER tatsächlich gilt:
Weiterlesen: Rundfunkbeitrag – GEZ – Befreiung (rückwirkend 3 Jahre)
Bewertung einer aktuelle Entscheidung des EuGH zur Anwendung von § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG auf EU-Bürger*innen
Beitrag: Harald Thomé
Thema der August-Ausgabe von Sozialrecht Justament ist eine aktuelle Entscheidung des EuGH zur Anwendung von § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG auf EU-Bürger*innen. Der EuGH sieht in der aktuellen Regelung, nach der Ausländer*innen eines deutschen minderjährigen Kindes von diesem ein Aufenthaltsrecht ableiten können, als rechtwidrig an, wenn dieses Recht nicht auch bei freizügigkeitsberechtigte EU-Kindern anzuwenden ist. Mit der Entscheidung des EuGH endet ein Streit innerhalb der deutschen Sozialgerichtsbarkeit. Das Urteil wirft auch Fragen dahingehend auf, ob es rückwirkend für Zeiträume ab 1.1.2024 angewendet werden kann, wenn es um die Begründung von SGB II-Leistungsansprüchen geht. Hier wird die Rechtsauffassung vertreten, dass eine rückwirkende Anwendung vorzunehmen ist. Die Entscheidung wird ab Seite 12 ausführlich dargestellt.
Zum Download: https://t1p.de/m60jh
Ukrainer sollen sofortigen Zugang zum Arbeitsmarkt behalten
Beitrag: Harald Thomé
Für Geflüchtete aus der Ukraine wird nach dem Rechtskreiswechsel unverändert ein sofortiger Zugang zum Arbeitsmarkt bestehen. Auch in Zukunft sollen sie bei ihrer Integration in den Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft unterstützt werden. Anstelle der Jobcenter stehen hierzu dann die Arbeitsagenturen vor Ort zur Verfügung. Das schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort (21/1473) auf eine Kleine Anfrage (21/1317) der Fraktion Die Linke. Sie betont in der Antwort ferner an mehreren Stellen, dass sich der Referentenentwurf für das Leistungsrechtanpassungsgesetz derzeit noch in der Ressortabstimmung befinde. Der Entwurf sehe für Beziehende von Leistungen nach dem SGB II und SGB XII Übergangsregelungen vor, um den Verwaltungsaufwand möglichst gering zu halten, heißt es weiter.
Mehr Infos: https://t1p.de/q3h51
Erich Fromm (1900–1980): Synthese von Marxismus und Psychoanalyse
(...) Wie Erich Fromm im Eingangskapitel von Jenseits der Illusionen (1962) bekennt, haben die
Erkenntnisse und Ideen von Marx und Freud sein Denken so grundlegend geprägt, dass er seit
den 20er Jahren stets um eine kritische Synthese bemüht war. Dabei hält er Marx für „weit
tiefgründiger und umfassender als Freud“ (GA IX, S. 44). (...) Fromm-Gesellschaft
"Erich Fromm (1900–1980): Synthese von Marxismus und Psychoanalyse"
Beitrag: Deutsches Ärzteblatt
Vor 125 Jahren wurde der Psychoanalytiker und Sozialphilosoph Erich Fromm geboren. Er hat Freuds Psychoanalyse in den Bereich der Soziologie erweitert und eine religiös fundierte psychoanalytische Anthropologie begründet.
Mit Harald Schultz-Hencke, Karen Horney, Harry Stack Sullivan und Frieda Fromm-Reichmann wird Erich Fromm zur „Neopsychoanalyse“ gezählt. Ihre Vertreter setzten sich kritisch mit den Annahmen Sigmund Freuds auseinander und entwickelten sie weiter. Fromm hat Freuds Psychoanalyse in den Bereich der Soziologie erweitert und eine religiös fundierte psychoanalytische Anthropologie begründet. Dabei ist sein Menschenbild neben Freud vor allem von Karl Marx inspiriert. „Die Furcht vor der Freiheit“ erschien 1941 und machte den Autor weithin bekannt. Seinen größten literarischen Erfolg erzielte Fromm indes mit dem Buch „Die Kunst des Liebens“ (1956) – es wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und millionenfach verkauft. Auch sein Spätwerk „Haben oder Sein“ (1976) war ein Bestseller. Hier stellt er zwei „Existenzweisen“ einander gegenüber und argumentiert im Sinn einer „nichttheistischen und rationalen Religiosität“ (Josef Rattner). Seine Befunde bleiben über die Jahrzehnte bemerkenswert aktuell.
Fromm studiert zunächst den Talmud und Jura
Fromm wird 1900 in Frankfurt in eine orthodox-jüdische Familie geboren. Der Vierzehnjährige erlebt den Ausbruch des Ersten Weltkriegs und empfindet Skepsis gegenüber staatlichen Autoritäten, die eine Enthemmung nationaler und sadistischer Leidenschaften fördern. Er studiert zunächst den Talmud und Jura, wechselt aber bald zur Soziologie nach Heidelberg. Seine erste Ehefrau, die Psychoanalytikerin Frieda Reichmann, regt ihn zu einer psychoanalytischen Ausbildung an. 1929 begründet Fromm mit anderen in Frankfurt das süddeutsche Institut für Psychoanalyse. Ein Jahr später wird er Mitglied des Instituts für Sozialforschung. Wie seinem Leiter Max Horkheimer geht es Fromm darum, Psychoanalyse und Marxismus zusammenzubringen. Damit, etwa in seinem Aufsatz „Über Methoden und Aufgaben einer analytischen Sozialpsychologie“, reiht er sich in die Gruppe der „Freudomarxisten“ ein, zu denen Wilhelm Reich, Otto Fenichel und Siegfried Bernfeld gehören. Marx und Friedrich Engels zufolge bestimmt das ökonomische Sein der Menschen ihr Bewusstsein. Doch wie genau setzt eine Gesellschaftsverfassung sich in Ideologie um? Hier sieht Fromm eine Lücke, die die Psychoanalyse schließen kann. Dabei knüpft er an die Erkenntnisse von Freud und Karl Abraham an, die den „oralen“ und „analen“ Charakter beschrieben haben: „Als die Hauptzüge des bürgerlichen Geistes glaubten wir annehmen zu dürfen: einerseits die Einschränkung des Genusses als Selbstzweck (speziell der Sexualität), den Rückzug von der Liebe und die Ersetzung dieser Positionen durch die lustvolle Rolle des Sparens, Sammelns und Besitzens als Selbstzweck, der Pflichterfüllung als obersten Wert (…)“ (1970). Für den frühen Fromm ist Religion dabei ein geeignetes Hilfsmittel der „Klassenherrschaft“, das die Menschen unselbstständig macht und ihnen Trost für die „vom Leben aufgezwungenen Versagungen“ bietet.
1933 emigriert Fromm über die Schweiz in die USA. „Die Furcht vor der Freiheit“ gilt als seine bedeutendste sozialpsychologische Arbeit und ist ein Klassiker der humanistischen Psychoanalyse. Warum sind totalitäre Ideologien wie Faschismus und Bolschewismus für die Menschen derart anziehend? Darauf versucht das Buch eine Antwort. Ist der Mensch überhaupt auf Freiheit hin angelegt? Fromm zufolge spricht viel dafür, doch ob und wie er diese Freiheit verwirklicht, hängt sehr von individuellen und gesellschaftlichen Verhältnissen ab. Fromm geht in der Geschichte weit zurück und identifiziert eine Tendenz des Menschen, Freiheit zu vermeiden und im Kollektiv unterzutauchen. Um sich über das Gefühl seiner Bedeutungslosigkeit in einer nicht überblickbaren Maschinerie hinwegzutäuschen, greift das Individuum zu „Fluchtmechanismen“, die Angst und Isolierung mindern sollen: „autoritäre Tendenzen“, „Zerstörungstrieb“ und „automatische Anpassung“. Hierbei wird jedoch eine „Freiheit von“ nicht zu einer „Freiheit zu“ ergänzt.
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